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Arbeitsbereich Technik, Naturwissenschaften, Ökologie



WEM NÜTZT DIE REPRODUKTIONSMEDIZIN?



von Britta Cacioppo

(aus: AUF-Info 128, Februar 2003, für diese Webausgabe redaktionell bearbeitet vom RLI)


WEM NÜTZT DIE REPRODUKTIONSMEDIZIN?

von Britta Cacioppo

(Druckfassung erschienen in: AUF-Eine Frauenzeitschrift - Info 128, Februar 2003)

Wollen wir Kinder oder genetische Erben? Und führt die gesellschaftliche Akzeptanz der modernen Fortpflanzungstechniken zu negativen Folgen wie Eugenik und Menschenzucht?
Ein Vergleich der In-vitro-Fertilisation und des reproduktiven Klonens aus feministischer Perspektive.

Selten war der Entrüstungs-Aufschrei so einheitlich wie bei der Ankündigung der Raelianer-Sekte zum Jahreswechsel, dass ein Klonbaby geboren worden sei.
Politik, christliche Kirchen, NGOs, alle waren sich einig: Klonen darf nicht sein. Wobei jedoch nur jenes Klonen gemeint war, bei dem Nachwuchs entsteht.
So viel Einigkeit macht skeptisch. Dass (reproduktive) Klontechniken und In-vitro-Fertilisation (IVF) so unterschiedlich beurteilt werden, ist zumindest für Frauen einige Fragen wert.

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TECHNISCHE UNTERSCHIEDE

Beim Klonen wird der Kern einer einfachen Körperzelle (zum Beispiel aus der Haut) mit einer Eizelle verschmolzen, deren Erbgut zuvor entfernt wurde. Dann wird diese Zelle meist mit elektrischen Impulsen stimuliert, und der sich daraus entwickelnde Embryo in eine (Leih-)Mutter implantiert. Um einen sich entwickelnden Embryo zu gewinnen, sind meist Hunderte von Versuchen notwendig.
Bei der In-vitro-Fertilisation wird eine Eizelle außerhalb des Mutterleibes mit einer Samenzelle befruchtet und der Embryo in eine (Leih-)Mutter eingesetzt.
Gemeinsam haben beide Verfahren, dass das Ei entnommen werden muss, im Labor künstlichen Handhabungen unterworfen und danach wieder eingepflanzt wird. Die Frauen müssen dabei mit hohen Hormongaben behandelt werden. Nur ein Bruchteil der Zellen gelangt zur Weiterentwicklung. Soweit gleichen sich die Schritte. Die Auslagerung der Entstehung neuen Lebens aus dem weiblichen Körper ist das eigentlich Kennzeichnende der neuen Reproduktionstechnologien.
Die In-vitro-Fertilisation genießt eine hohe Akzeptanz und wird inzwischen routinemäßig durchgeführt, Klonen jedoch wird als moralisch verwerflich wahrgenommen.

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WER TRÄGT DIE RISIKEN?

Welche Gesundheitsrisiken oder psychischen Belastungen für Frauen mit diesen Reproduktionstechniken verbunden sind, ist kaum zu hören. Das Risiko der In-vitro-Fertilisation und der damit verbundenen hohen Hormongaben ist bis jetzt nie in großen Studien untersucht worden (wie eigentlich bei jeder anderen Behandlung selbstverständlich) und wird alleine von den Frauen und von den Kindern getragen, obwohl Unfruchtbarkeit des Mannes inzwischen eine anerkannte Indikation für eine IVF ist.
Wie weit IVF mit vermehrtem Auftreten von Erkrankungen im Leben der so entstandenen Kinder einhergeht, wird nicht systematisch erfasst, denn diesen Kindern wird der Anspruch auf Privatheit garantiert. Dennoch gibt es inzwischen erste Hinweise auf vermehrtes Auftreten bestimmter, seltener Tumoren.
Während bei der In-vitro-Fertilisation Risiken kaum besprochen werden, werden die Gefahren des Klonens (wenn auch nur aus dem Tierreich) bildreich dargestellt, wird betont, wie viele Versuche notwendig sind, um EINEN gelungenen Klon zu ermöglichen.
Es ist anzunehmen, dass alternative Ansätze zur Erfüllung des Kinderwunsches auf eine wesentlich breitere Akzeptanz stoßen könnten, wenn ähnlich kritische Auseinandersetzungen mit der In-vitro-Fertilisation geführt würden, wie sie heute um die Problematik des Klonens erfolgen. Kinder adoptieren, Wahlverwandtschaften, gemeinsame Verantwortung für Kinder in einer Gemeinschaft, sogar einfach mehr Offenheit gegenüber Kindern könnten alles Möglichkeiten sein.
Die Repro-Technologien der modernen Medizin haben aber dazu geführt, dass dieser kleine "Zellklumpen", der eigentlich ein nicht-eigenständiger Teil des Mutterleibes ist und damit der ausschließlichen Verantwortlichkeit der Mutter unterliegt, durch die künstliche Zuweisung einer fiktiven Eigenständigkeit Vermarktungspotentiale erworben hat und als einzig möglicher Weg zum Kinderwunsch im Vordergrund steht.

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KLON ALS EBENBILD?

Trotz der fast einstimmigen Ablehnung des reproduktiven Klonens ist das Thema in den Medien auffallend präsent.
Sind patriarchale Phantasien der rein männlichen Zeugung eines Ebenbildes so attraktiv? Ist die Fiktion, männliche Wesen klonen zu können, der Grund für die hohe Medienattraktivität des Themas?
Fiktion deshalb, weil inzwischen allgemein in der Wissenschaft akzeptiert ist, dass die in der Zelle befindliche RNS einen ganz wesentlichen Anteil an der sogenannten "Vererbung" hat und die Lehrmeinung, dass Gene monokausal für eindeutige Merkmale verantwortlich sind, in der verallgemeinerten Form einfach nicht mehr zu halten ist.

Ein Klonkind hat zwar die Gene des eingepflanzten Kernes, aber das genetisch relevante Umfeld, die mitochondriale Ribonukleinsäure stammt aus der Eizelle, in die der Kern eingepflanzt wurde.
Es ist außerdem im Bauch der austragenden Frau, in ihr ganz spezifisches Stoffwechsel-Muster eingebettet, mit ihrem Hormonhaushalt, ihren Stimmungen, Reaktionsweisen, Ängsten, Stressfaktoren.
Die Vorstellung, dass allein mit dem isolierten Genom einer Körperzelle durch Klonen ein Ebenbild des Ausgangskörper entstehen kann, ist daher nicht nur extrem vereinfachend, sondern schlichtweg falsch, wird aber in den Medien konsequent aufrecht gehalten

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GEFAHREN IN DER ZUKUNFT?

Ist eine selbst mehrheitliche Ächtung ein Garant, dass eine Technik nicht über kurz oder lang angewandt wird?
Wenn eine Technik erst einmal erfunden und durch meist restriktive Anwendung eine Akzeptanz hergestellt wurde, erfolgt eine Verselbständigung im Wechselspiel gesellschaftlicher Kräfte (Industrie, Kirchen, Politik, Interessenvertretungen, Medien), die zu einer Ausweitungsdynamik ihrer Anwendungsbereiche führt. Die weitere Anwendung lässt sich über längere Zeitspannen gesellschaftlich nicht wirklich regeln oder verbieten. In-vitro- Fertilisation, Präimplantationsdiagnostik und Klon-Techniken werden, wenn ihre gesellschaftliche Akzeptanz weiterhin forciert wird, über kurz oder lang auch zu gezielten Züchtungsversuchen und zu Eugenik führen.

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WELCHE FORSCHUNG BRAUCHEN WIR?

Die zunehmende Medikalisierung der Repro-Medizin wird als qualitative Lebensverbesserung dargestellt, aber nicht kritisch hinterfragt. Forschung gibt vor, sich an primären Bedürfnissen derjenigen zu orientieren, für die sie erfolgt und von denen sie - über Steuern - auch finanziert wird, bietet jedoch stark an Wirtschaftsfaktoren orientierte, vermarktbare und extrem komplexe Techniken an.
Gebraucht wird m.E. eine Forschung, die nach einfachen, brauchbaren und nicht unbedingt spektakulären Lösungen forscht, ohne Umweltverschmutzung und Umweltzerstörung, die also zu lebenswerten Gesellschaftskonzepten führt. Auch eine, die vielleicht erforscht, warum die Fertilität in unserer so hochzivilisierten Welt kontinuierlich abnimmt. Und warum der Wunsch nach einem Kind in unserer Gesellschaft als Wunsch nach einem genetischen Erben umgedeutet wurde.

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EIN KURZER HISTORISCHER RÜCKBLICK...ÜBER DIE ENTWICKLUNG DER LEGITTIMATIONEN FÜR IVF IN DEN NIEDERLANDEN

Ein kurzer historischer Rückblick über die Entwicklung der Legitimationen (der medizinischen Indikationen) für IVF in den Niederlanden zeigt, wie das Wechselspiel der Interessen und Zeitgeist die Anwendungsbereiche einer Technik bestimmen. Es ist eine bekannte Tatsache der Technikfolgen-Forschung, dass einmal etablierte Technologien zu einer Ausweitungsdynamik ihrer Anwendungsbereiche führen. Welche Motive eine IVF legitimieren, hat sich in den Niederlanden im Lauf von wenigen Jahren stark erweitert.
So ist 1985 die einzige legale Indikation für IVF eine Eileiterverklebung gewesen, ohne Benennung, für welche Frauen dies galt.
1986 folgte die Einschränkung, dass sich lesbische und alleinstehende Frauen nur in Ausnahmefällen dieser Behandlung unterziehen dürften. Außerdem wurde männliche Infertilität als Indikation für eine IVF bei Frauen zugelassen. 1988 erklärte die Regierung, dass IVF keine Alternative für die "natürliche Prokreation" sein dürfe (worunter eine heterosexuelle Vereinigung verstanden wurde, unabhängig ob medizinisch unterstützt oder nicht). Hiermit wurde versucht die IVF in das heterosexuelle "Normal"-Empfinden einzubetten.
Die Praxis sah jedoch auch damals so aus, dass viele Kliniken auch Lesben und alleinstehende Frauen behandelten. 1988/89 wurde diese Praxis offiziell anerkannt, mit der Begründung, dass keine empirischen Daten vorlägen, die die kinderschädigenden Auswirkungen von anderen, nicht heterosexuellen Familienmodellen belegen.
Dem folgte ein noch freizügigerer Schritt. Die Gesundheitsministerin betonte öffentlich ihr Verständnis, dass lesbische Frauen die Mutterschaft für ein Kind gemeinsam tragen: Das von der einen Mutter gewonnene (befruchtete) Ei wird der zweiten Mutter zur Austragung eingepflanzt. Nach lauten Protesten aus religiösen Kreisen wurde dieses Modell jedoch auch von den Ärzten abgelehnt, und die Ministerin nahm ihre Aussagen zurück.
Dieses Beispiel aus den Niederlanden zeigt deutlich, dass die Gesetzgebung das Ergebnis einer Vielfalt von Interessen darstellt, die weder voraussagbar ist, noch von einer Gruppierung alleine bestimmt wird.

Quelle: Marta Kirejczyk: Enculturation through Script Selection: Political Discourse and Practice of In Vitro Fertilization in The Netherlands, in: Ann R. Saetnan/Nelly Oudshoorn/Marta Kirejczyk (Eds.): Bodies of Technology. Women's Involvement with Reproductive Technologie, Ohio State University Press, Columbus, 2000, S. 183-206).

 

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