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MACHBARKEIT UND VERANTWORTUNG.
GENTECHNOLOGIE IN DER KRITIK
von Margarete Maurer
(Druckfassung erschienen in: AUF - Eine Frauenzeitschrift, Nr.
51, Mai 1986, S. 7-14)
Der folgende Beitrag stellt die ungekürzte Originalfassung einer Rundfunk-sendung dar, die im ORF am 2. Oktober 1985 in der Reihe "Dimensionen. Leben und Umwelt" ausgestrahlt wurde und aus Zeitgründen hatte gekürzt werden müssen. Zwecks leichterer Lesbarkeit wurde der Beitrag in Druckfassung gebracht. Die Autorin hat selbst Mikrobiologie und Biochemie studiert; ihre Gesprächspartnerinnen fand sie beim Kongreß "Frauen gegen Gentechnik und Reproduktionstechnik" des "Verein für Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis für Frauen e.V." und des Arbeitskreises Frauenpolitik der "Grünen", der vom 26. bis 28. April 1985 in Bonn stattfand. Zusätzlich interviewte sie zwei männliche Experten aus dem Fachbereich Biologie der Universität Tübingen. Wenn damit Naturwissenschaftler/innen aus der Bundesrepublik Deutschland zur Sprache kommen, so heißt das nicht, daß dies für Österreich unwichtig wäre - im Gegenteil: Wo die Entwicklung weiter fortgeschritten ist, zeichnen sich die Probleme und Grundsatzfragen schon deutlicher ab - sie kommen auch auf Österreich zu bzw. sind sie dies schon, denn die "Insel der Seligen" ist zunächst einmal eine für die internationalen Konzerne und deren Produkte. Gentechnologische Grundlagenforschung wird in einigen wissenschaftlichen Instituten betrieben, "Gen-Zentren" nach dem Muster der Bundesrepublik Deutschland gibt es in Österreich derzeit (noch) keine. Der Beitrag beleuchtet die Problematik von Machbarkeit und Verantwortung in der Gentechnologie in ihren naturwissenschaftlichen und in ihren gesellschaftlichen Aspekten.
Die Gentechnologie findet seit einigen Jahren verstärkt öffentliche Aufmerksamkeit: "Hoffnung Interferon", "Schutz vor künftigen Schädlingen", "Ein künstlicher Virus soll die Herpes-Verbreitung stoppen", so lauten entsprechende Schlagzeilen. Die verwertende chemische und pharmazeutische Industrie wirbt gar mit Versprechungen wie: "Gentechnologie - Hoffnung im Kampf gegen Hunger und Krankheit", und sie verheißt uns eine schöne neue Welt, eine, in der alle Probleme der industriellen Zivilisation mit Hilfe der revolutionierenden Gentechniken gelöst werden könnten. Einen großen Innovationsschub, neue Absatzmärkte und damit mehr Gewinn versprechen sich manche Unternehmensmanager und industrielle Unternehmerverbände. Ob diese Zukunftsmusik halten kann, was sie verspricht, wird die Zukunft selber zeigen. Von manchem, das großmundig angekündigt wurde, hat man nachher nicht mehr viel gehört. Was gentechnisch überhaupt machbar ist und was nicht, ist daher die erste Frage, die hier zu stellen ist. An vielem wird sehr intensiv gearbeitet. Das 4. Gen-Zentrum der Bundesrepublik Deutschland wurde letztes Jahr in München eröffnet (1984). Es ist konstruiert nach dem gleichen Strickmuster wie das Heidelberger Gen-Zentrum: Öffentlich-rechtliche Forschungseinrichtungen und Universitäten stellen die "man-power", die Gehirne; die öffentliche Hand zahlt den Löwenanteil; die Industrieunternehmen ~ ein Großkonzern oder mehrere Firmen - kaufen sich mit geringeren Beträgen ein, zwecks schnellem Zugang zu den Ergebnissen. Zahlenbeispiel München: jährlich zahlt das Bundesforschungsministerium umgerechnet rund 42 Millionen Schilling; zwei Firmen zahlen 8,4 Millionen Schilling. Die Biologin Dr. Regine KOLLEK : "Das heißt, hier wird auch massiv auf Grundlagenforschung eingewirkt, so daß dort eben hauptsächlich diese Produktorientiertheit etabliert wird, und ich halte das für ein sehr großes Problem." Daher die andere Frage, die der Verantwortung: Was ist überhaupt wünschenswert und sinnvoll von dem, was machbar ist? Wem nützt dabei welche Forschung wozu? Und welche Gefahren werden mit der Gentechnologie heraufbeschworen? Mit dem Ausbau der Gentechnologie wächst auch die Zahl der warnenden Stimmen, besonders auch aus den eigenen Reihen der Naturwissenschaftler/innen selbst. Manche befürchten, daß die Gentechnologie in sich eine Zeitbombe bergen könnte - eine Zeitbombe, die verbunden ist mit mindestens gleich schwerwiegenden Gefahren oder Folgen wie die Entwicklung der Atombombe, von den ersten Kernspaltungsexperimenten bis zum Tod von 170.000 Menschen in Hiroshima und Nagasaki ~ und später bis Harrisburg. "In beiden Fällen habe ich das Gefühl, daß die Wissenschaft eine Schranke überschritten hat, die sie hätte scheuen sollen", schreibt der aus Österreich gebürtige Biochemiker Professor Erwin CHARGAFF, der selber in den sechziger Jahren wesentlich an der Aufklärung der Chemie der Vererbung beteiligt war, also an der Erarbeitung der Grundlagen der Gentechnologie.
GEGENWARTS- UND ZUKUNFTSVERANTWORTUNG
Mit Fragen der Wissenschaftsethik befaßt sich seit längerem Professor Hans ZÄHNER, Inhaber des Lehrstuhls für Mikrobiologie an der Universität Tübingen: "Die Verantwortung in der Wissenschaft ist auf mehrere Seiten hin zu sehen: einmal die Frage, was geschieht heute?, also die Frage von Gut und Böse, die sogenannte Gegenwartsethik, die ist noch einigermaßen überschaubar. Die andere Frage ist die Frage nach der Zukunftsethik: Was wird aus dem, was wir heute forschen und einbringen, später werden? Und diese Frage ist viel schwieriger zu beurteilen." Wie ist denn überhaupt der Stand dieser Forschung, was ist überhaupt machbar? "Es ist etwas schwierig, heute zu entscheiden, was machbar ist oder was nicht. Aber vielleicht müßte man zuerst definieren, was man unter Gentechnologie, Biotechnologie verstehen will. Gentechnologie bedeutet: Veränderung des Genoms, also der Nucleinsäure eines Organismus, indem man daran ~ vulgär ausgedrückt ~ herumschlossert, also sogenannte Gen-Schlosserei; und die andere Seite ist die Verwendung von Mikroorganismen oder Zellen, von lebenden Zellen, für irgendwelche Zwecke. 'Biotechnologie' ist ein alter Begriff, schon jede Bierbrauerei betreibt Biotechnologie; das ist also nichts Neues." Also: Biotechnologie ist die altbekannte Fermentationstechnik mit Hilfe von Bakterien, Hefen oder Schimmelpilzen. "Neu ist, daß man dazu modifizierte Organismen brauchen kann und damit Dinge machen kann, die man früher nicht machen konnte."
Es gibt also sozusagen eine gentechnische Biotechnologie: Man will die genannten ~ oder auch andere ~ Mikroorganismen gentechnisch manipulieren, "maßschneidern", sodaß sie Stoffe herstellen, die sie von Natur aus nicht in ihrem Stoffwechsel haben. Gentechnologie heißt also: lebendige Organismen, sozusagen das Leben selbst, soll/en umgebaut werden ~ nach Zwecken, die von den Kosten für Rohstoffe und vom Absatzmarkt der Industrieunternehmen bestimmt sind. Die Industrie spekuliert, etwa 5 000 von an die 50 000 gängigen chemischen Verbindungen, die derzeit chemisch hergestellt werden, in Zukunft mit gentechnologischer Biotechnologie machen zu können oder aber, bisher nicht herstellbare Stoffe nun produzieren zu können. Das geht aber bisher nur mit zweien: mit Insulin und mit einem Interferon. Professor Zähner will die Biotechnologie so genutzt wissen: "Die Bedeutung der Biotechnologie liegt am wenigsten an den Gewinnen für die Aktionäre, sondern sie liegt darin, daß man gewisse Dinge herstellen kann, die man heute nur mit sicherheitsmäßig kritischen Dingen herstellen kann. Es ist z.B. möglich, im Pflanzenschutz Stoffe zu verwenden, die auf biotechnologischem Weg gewonnen wurden, die nicht giftig sind, und die auch unter normalen Bedingungen hergestellt werden können."
Erika HICKEL von der Technischen Universität Braunschweig, an der sie Professorin für Geschichte der Pharmazie und Naturwissenschaften ist: ..."Bei der Gentechnologie handelt es sich, denke ich, um ganz prinzipielle Gefährdungen, weil man tiefe Eingriffe in den Zustand der Evolution macht; man vermischt hier und manipuliert hier das Erbgut von Lebewesen aller Art, von Mikroorganismen, von Pfanzen, von Tieren und eben auch das von menschlichen Zellen in einer Weise, wie sie von der Natur nicht vorgesehen worden ist. Das Argument der Betreiber, daß man in Wirklichkeit mit den gentechnischen Veränderungen am Erbgut ja nur die Natur imitiere, daß man Mutation, wie sie auch in der Natur vorkommt, nur künstlich mache oder dergleichen, das zieht hier nicht, weil die Veränderungen am Erbgut in der Evolution, in der Natur, sich in unendlich langen Zeiträumen und gleichzeitig in unendlicher Vielfalt vollziehen. Diese extreme Langsamkeit und extreme Vielfalt, in der bei evolutionären Prozessen Erbgutveränderungen ablaufen, das ist nun gerade etwas anderes als das, was wir im Labor tun, wo wir nur an sehr wenigen Arten von Lebewesen diese Veränderung vornehmen, gleichzeitig aber in riesengroßer Masse, auf einen Schlag. Das ist eine Art Versündigung gegen die Natur, so wie wir es sehen, die automatisch eine Fülle von Gefährdungen mit sich bringen wird". Gentechnologie ist also immer härteste Technik - und nicht eine"sanfte", wie manchmal zu hören ist. Dabei gehen die Träume der Gentechnologen weit über die Produktion erwünschter Stoffe hinaus. Beispielsweise erhoffen sich manche die Konstruktion von Bakterien, die Erdölteppiche auf dem Meer auffressen oder in Kläranlagen Abwässer reinigen helfen; Anwendungen, die auf den ersten Blick recht vernünftig klingen, aber sich bei näherem Zusehen als problematisch erweisen. Was passiert zum Beispiel, wenn die Erdöl-Bakterien in eine Raffinerie geraten?
Obwohl es eine Unmenge denkbarer Anwendungen der Gentechnologie gibt, liegt jeder Genmanipulation am Erbgut eines Lebewesens das gleiche Prinzip zugrunde. Das erläuterte mir Hans-Joachim LIPPS, Professor für Biologie an der Universität Tübingen, der selbst gentechnologisch tätig ist. Er spricht dabei von der "DNS", der Desoxyribonucleinsäure, manchmal auch englisch mit "DNA" bezeichnet, die 1944 von Oswald AVERY als die chemische Trägerin der Erbsubstanz identifiziert worden war. Unter "Vektor" wird in der Gentechnologie eine DNA-Transport-Sequenz bezeichnet. Professor LIPPS zur Frage, was Gentechnologie ist: "Das ist die Isolierung bestimmter DNS-Sequenzen aus einem beliebigen Organismus und ihre Vervielfältigung in anderen Organismen, meistens Bakterien. Dabei wird die DNS des Spender-Organismus mit Hilfe von Restriktionsenzymen gespalten und mit geeigneten Vektoren, z.B. Plasmiden oder Viren, integriert (= verbunden, M.M.) und in die andere Zelle transferiert (= übertragen, transportiert, M.M.). Und die entscheidenden Schritte, daß diese Methode möglich wurde, war die Entdeckung von Restriktionsenzymen und die Entwicklung von geeigneten Vektoren, in die DNS-Sequenzen integriert werden konnten." Aus welchem Grund wurden diese Methoden entwickelt? Handelte es sich um medizinische Anliegen oder waren das Methoden der Grundlagenforschung? "Ursprünglich waren es bestimmt rein wissenschaftliche Gründe; weil diese Methode das erste Mal die Möglichkeit gegeben hat, definierte DNS-Sequenzen in großen Mengen zu erhalten und damit analysieren zu können."
WIE DIE MODERNE BIOLOGIE IHRE UNSCHULD VERLOR
Wenn es sich also um wissenschaftliche Methoden handelt, d. h. um Methoden, die in der Grundlagenforschung entwickelt wurden, wie kam es dann eigentlich zu dieser intensiven Debatte über die Gefährlichkeit oder Nicht-Gefährlichkeit der Gentechnologie? Professor LIPPS: "Die ursprüngliche Angst war, daß durch diese Methoden pathogene Bakterien oder Viren entstehen könnten, und daß diese Bakterien oder Viren sich unkontrolliert vermehren könnten. Auf diese Gefahr wurde von den Wissenschaftlern, die diese Methode entwickelt haben, selbst hingewiesen, und von Ihnen wurden deshalb auch entsprechende Sicherheitsmaßnahmen diskutiert und entwickelt". Das waren der berühmte Brief von Paul BERG und anderen an die Wissenschaftszeitung "Science" (1974) und dann die Konferenz von Asilomar - ein einmaliger Fall freiwilliger Selbstkontrolle in der Geschichte der Naturwissenschaften. Hatten also die Biologen/innen aus den Erfahrungen der Atomphysiker/innen gelernt? Die Antwort lautet: teils, teils.
Auffallend ist: Wissenschaftler/innen, die warnen, sind eher an den akademischen Institutionen zu finden, während eine Reihe von Forschern, die in die Industrie gegangen sind, auch öffentlich für die Lockerung der Richtlinien plädierten: Über sie mußmaßt Erwin CHARGAFF: "Dieses sogenannte Moratorium (das sie in Asilomar beschlossen, M.M.) war etwas für die Zeitungen. Tatsächlich hat es nur verhindert, daß etwas publiziert wurde. Währenddessen wurde wie wild gearbeitet. Sie sind alle Aktionäre bei Biofirmen und reich dabei geworden." 1982 mußte Robert JUNGK feststellen, daß sich diese Seite in den USA durchgesetzt hat: "Versuche einer Selbstkontrolle, wie sie in den siebziger Jahren unternommen wurden, sind gescheitert." Und er zitiert deshalb einen Insider, den engagierten Molekularbiologen Jonathan KING vom berühmten Massachussetts Institute of Technology mit der Befürchtung: "Verkaufschancen und Gewinnaussichten werden dominieren. Produkte, die dauerhafte Heilerfolge herbeiführen können, werden dann zugunsten von solchen vernachlässigt, die nur vorübergehend helfen, also ständig wieder gekauft werden müssen."
In der Bundesrepublik Deutschland wurde die Aufweichung der Sicherheitsrichtlinien von Forschungsminister Heinz RIESENHUBER, CDU erst kürzlich angekündigt ~ wie in den USA mit der Begründung, es sei alles viel weniger gefährlich als man anfangs angenommen habe.
Dennoch sind weitere Gefährdungen denkbar: Bakterien und Viren kann man nämlich nicht sehen, ihren Aufenthaltsort daher nicht restlos kontrollieren. Dazu kommt: Sie können unterereinander DNS-Stücke austauschen. Erwin CHARGAFF: "In der Biologie geht vieles langsam, und wir wissen nicht, was aus entwichenen Bakterien im Untergrund alles werden kann. Sie führen eine Art Guerilla-Existenz". Außerdem sind die Gefahren, die aus der Arbeit mit sogenannten Retro-Viren entstehen können, nach Meinung mancher Kritiker/innen weder abschätzbar noch ausreichend in den Sicherheitsrichtlinien berücksichtigt worden. Retro-Viren sind ein beliebtes Instrument insbesondere der Krebsforschung. Dr. Regine KOLLEK hat mit solchen Viren gearbeitet. Nach langen Diskussionen mit ihren Kollegen und achtjähriger Forschungsarbeit sah sie sich gezwungen, auf die Frage nach der Verantwortung eine radikale, eine individuell sehr schwere Antwort zu geben: "Ich war mit einer Forschung beschäftigt, bei der der Mechanismus der Krebsentstehung untersucht werden sollte, und dabei wurden Viren verwendet, die auch als Krebserreger zu charakterisieren sind. Das sind Viren, wie man sie zunächst bei Mäusen gefunden hat, und der nächste Schritt sollte sein, daß diese Viren sozusagen mit dem Krebsgen versehen, auf menschliche Zellen gegeben werden sollten, um sich an diese menschliche Zelle anzupassen, um dort sich besser vermehren zu können." Im Reagenzglas. "Im Reagenzglas zunächst einmal. Aber, ich komme aus der Praxis, ich weiß, was dort für kleinere oder größere Mißgeschicke oder auch Unfälle passieren können; es ist für mich völlig klar, daß diese Viren nicht immer im Reagenzglas bleiben, sondern möglicherweise sich einmal jemand mit einer Injektionsnadel sticht oder an einem Gefäß verletzt. Und dann trägt er diese Erreger in seinem Blut, und es dauert möglicherweise einige Jahre, bis er die Krankheit hervorruft, einen Blutkrebs zum Beispiel oder einen anderen Krebs; und bis dahin können diese Viren, ähnlich wie der Erreger der Immundefizienzkrankheit (Mangel im natürlichen körperlichen Immun-, also Abwehrsystem; M.M.) AIDS, eben auf weitere Bevölkerungsteile übertragen werden. Das halte ich für eine ganz katastrophale Auswirkung dieser Technik, und daß an solchen Dingen gearbeitet wird, kann ich persönlich überhaupt nicht vertreten. Das war der Grund, warum ich dort nicht mehr mitmachen wollte". Und Sie sind dann aus der Forschung direkt ausgestiegen? "Ja, ich habe meinen Job gekündigt". Der Hinweis auf AIDS kommt nicht von ungefähr: Es ist bisher nicht auszuschließen, daß die AIDS verursachenden Viren aus US-amerikanischen Forschungslabors stammen, in deren Nähe die Krankheit zuerst diagnostiziert wurde. Manche Forscher vermuten den Ursprung von AIDS auch in einer afrikanischen Affenart. In jedem Fall stellt AIDS ein Modell für eine Krankheit dar, wie sie auch als Folge gentechnologischer Experimente zumindest denkbar ist.
Vor Regine KOLLEKs persönlicher Lösung "Aussteigen aus der Forschung" werden viele vielleicht zurückschrecken. Aber auch ihr wäre es lieber gewesen, ihr Institut hätte seine Experimente auf weniger gefährliche Arbeiten umgestellt. Dr. KOLLEK arbeitet inzwischen auf dem Gebiet der Technologiefolgen-Abschätzung. Die Schaffung alternativer Arbeitsplätze wäre auch grundsätzlich ein guter Weg. Dies ist allerdings nicht einfach, wie gerade an diesem Beispiel zu sehen ist. Das Ziel der Forschungsgruppe war ja "Krebsforschung", also etwas allgemein als positiv und notwendig und human Bewertetes! Doch durch die Art der Durchführung mußte man risikieren, einen neuen Krebs allererst zu erzeugen. Dr. Kollek meint, daß "das ein Dilemma der gesamten modernen Forschung ist. Das Hauptproblem der Gentechnologie ist sie eigentlich selber".
Diese Dilemma teilen die heutigen Gentechnolog/inn/en mit den Wissenschaftlern, die die Atombombe entwickelten: Von ihnen fühlten sich manche gerade dadurch verantwortlich, daß sie die Bombe bauten: um einen Sieg Hitlers zu verhindern oder gar, weil sie meinten, mit dieser schrecklichen Waffe würde für immer Friede geschaffen. Ein naiver Irrtum, wie sich gezeigt hat. Eine Folge waren nicht nur Hiroshima und Nagasaki, sondern auch die ganze weitere Aufrüstung seither. An der machten dann eine Reihe von Atomphysikern allerdings nicht mehr mit. Die Gentechnolog/inn/en könnten heute in einem früheren Stadium lernen.
Im Gegensatz zur Atomkernspaltung wurde die Zellkern-Manipulation nicht vorrangig aus militärischen Interessen vorangetrieben. Dennoch haben einzelne Wissenschaftler in den USA lukrative Angebote ausgeschlagen aus Sorge, sie könnten in den Rüstungswettlauf einbezogen werden. Professor ZÄHNER erklärt: "Eine Möglichkeit wäre die Vermehrung von pathogenen Viren ~ Encephalitis-Virus (Hirnhautentzündung, M.M.) zum Beispiel ~ Herstellen dieser Viren in großem Maßstab und Ausbringung; oder aber die Verwendung von Bakterien, die man künstlich Antibiotika-resistent (= unempfindlich, M.M.) gemacht hat, die aber hochpathogen sind, zum Beispiel Ausbreitung von Antibiotikaresistenten Typhus-Keimen oder ähnlichem." Wie akut die Gefahr einer militärischen Anwendung der Gentechnologie ist, war bei meinen Gesprächspartner/innen umstritten. Professor ZÄHNER: "Ich glaube, wir kommen darum herum, daß das in Kürze gebraucht wird, zu solchen Zwecken". Professor Erika HICKEL: "Wir haben auch eine solche Auskunft bekommen von unserem Verteidigungsminister, daß man beabsichtigt, Gentechnik in der waffentechnischen Forschung anzuwenden". Das US-amerikanische Verteidigungsministerium, NATO-Bündnispartner der Bundesrepublik Deutschland, hat immerhin seit 1980 mehr als 20 gentechnische Forschungsprojekte gefördert Dafür ist ihm der geplante Bau eines Großlabors zur Erforschung biologischer Waffen kürzlich durch ein Urteil der Bundesrichterin Joyce Hense GREEN untersagt worden Von dem, was geheim geschieht, können wir natürlich nichts wissen. Professor HICKEL warnt auch aus einem weiteren Grund: "In dem Maße, wie die kommerzielle Anwendung gentechnischer Methoden sich als enttäuschend erweisen wird, und ich persönlich glaube, daß all die Versprechungen, die wir dabei hören, sich als Enttäuschungen erweisen werden, in dem Maße wird man die Laboratorien für die Waffenforschung einsetzen - ähnlich wie man das ja aus der Atomforschung auch kennt. Und schon aus diesem Grund können wir nur davor warnen, diese gentechnischen Labors so wahllos zu vermehren wie bisher." Hier mag manche/r fragen: Ist nicht die Entwicklung, die Produktion und die Lagerung von biologischen Waffen ohnehin seit den siebziger Jahren in vielen Staaten verboten worden? Auch in den USA und der Bundesrepublik Deutschland? "Ja", antwortet Professor Erika HICKEL, "aber damit ist noch nicht die Forschung verboten; Forschung und Entwicklung ist auf diesem Gebiet dasselbe! Man kann es nicht unterscheiden. Wenn man erforscht, wie man die pathogenen Eigenschaften, also die krankheitserregenden Eigenschaften an Mikroorganismen verändert oder künstliche Krankheiten daran erzeugt, was man ja tut, zum Beispiel in der Krebsforschung, dann sind die Kenntnisse aus der Forschung immer auch für Waffen anwendbar." In diesem Punkt waren sich meine Gesprächspartner/innen wiederum einig, und darin liegt auch ein Dilemma dieser Forschung: Wer gegen ihren militärischen Mißbrauch ist, muß praktisch auch gegen diese Forschung selber sein, auch wenn sie mit guten Absichten geschieht.
Pofessor ZÄHNER hat in diesem Dilemma für sein Gebiet, die Antibiotika-Forschung und die Suche nach biologischen Insektenbekämpfungsmitteln, einen Mittelweg gefunden. Seine persönliche Lösung dieses Verantwortungsproblems im Bereich der biotechnologischen Forschung: "Was wir nicht machen, sind Untersuchungen über Giftstoffe, Herstellung von Giften mit Hilfe von Mikroorganismen, das brechen wir ab; und was wir teilweise auch abgebrochen haben, aber was damit zusammenhängt, war die Suche nach Anti-Tumorstoffen, von denen wir von vornherein annehmen mußten, daß sie sehr toxisch (giftig, M.M.) sind."
GENTECHNOLOGIE IN DER LANDWIRTSCHAFT
Der folgende Fall zeigt, wie Verantwortung noch praktiziert werden kann; gleichzeitig wird daraus deutlich, daß sich die Problematik der Gentechnologie nicht auf militärische Anwendbarkeit oder auf die Frage der Laborsicherheit begrenzen läßt: es geht um die Freisetzung gentechnisch manipulierter Pflanzen in die Natur. In der Bundesrepublik Deutschland ist dies derzeit noch verboten. Kürzlich hat aber der Forschungsminister Heinz RIESENHUBER den Vorschlag gemacht, auch dieses Verbot aufzuheben. Professor Erika HICKEL: "Dahinter steht eine große Industrie-Firma; wir wissen allerdings noch nicht genau, welche. Die Bestrebungen gelten aber noch für das laufende Jahr. Und wir sind der Auffassung, daß wir hier, mindestens ebenso wie in den Vereinigten Staaten von Amerika vor kurzem, eine starke Oppostion organisieren müssen, damit derartiges nicht passieren kann". Worum ist es da gegangen?
"Das war ein Prozeß gegen die Freisetzung von Mikroorganismen, die imstande sind, die Frostresistenz bei Nutzpflanzen zu erhöhen. Man kann diese Bakterien, die dort gentechnisch konstruiert worden sind, auf Pflanzen aussetzen: Diese Pflanzen sind dann imstande, Frost von mehr als vier Grad zusätzlich zu ertragen, zu dem, was sie von Natur aus können; und man hat dadurch gehofft, daß man die Ausbeute von Nutzpflanzen erhöhen kann, in Gebieten, in denen sie eigentlich nicht mehr wachsen können. Man weiß aber, daß diese Art von Frostresistenz hervorbringenden Bakterien außerordentlich weitreichend ökologische Auswirkungen haben können. Sie können sich in die Atmosphäre verteilen, sie können unter Umständen zu Eiskristallbildungen führen in Bereichen, wo das natürlicherweise gar nicht vorkommt; es kann Konsequenzen haben, die überhaupt niemand überschauen kann, infolgedessen auch nicht verantworten kann. Und deswegen sind zu Recht die Bürger damals hergegangen, haben in einer großen Bürgerbewegung dagegen protestiert - der Amerikaner Jerome RIFKIN ist ja dafür bekannt geworden, daß er das mit großer Öffentlichkeit verbunden gemacht hat; und sie haben einen Prozeß gegen diese Freisetzung geführt. Sie haben ihn jetzt in der vorläufigen Instanz verloren, aber, soweit ich informiert bin, geht dieser Prozeß noch weiter. Auf jeden Fall hat die interessierte Industriefirma jetzt einmal davon Abstand genommen, diese Freisetzung vorzunehmen". Professor HICKEL spricht hier auch als ehemaliges Mitglied der Enquetekommission des Deutschen Bundestages zur Gentechnologie, deren Einrichtung sie als Abgeordnete der "Grünen" mit Erfolg verlangt hatte: "Man sieht an diesem Beispiel übrigens auch gut, warum diese Opposition gegen die wildwüchsige Ausbreitung gentechnischer Methoden in der Industrie und in der Forschung nicht nur auf nationaler Ebene organisiert werden kann, denn wir bekommen von den Betreibern immer zu hören: 'Ach, wenn wir das jetzt unterlassen, dann wird es sicherlich von den Amerikanern oder den Japanern gemacht'. Und nur, wenn wir darauf hinweisen können, daß auch in diesen anderen Ländern, die diese Technologie vorwärts treiben, daß auch dort sehr starke Bedenken in der Bevölkerung sich ausbreiten, nur dann können wir hier glaubwürdig und mit einiger Aussicht auf Erfolg vielleicht auftreten." Der von Erika HICKEL geschilderte Fall beleuchtet eine akute, weil real existierende Gefahr. Derzeit zwar noch nicht machbar auf diesem Feld der landwirtschaftsbezogenen Gentechnologie ist es, bestimmte Nutzpflanzen resistent zu machen gegen Unkrautvertilgungsmittel, also gegen Herbizide. Aber es wird intensiv daran gearbeitet. Dieses Gebiet bildet einen Schwerpunkt am neugegründeten vierten Gen-Zentrum der Bundesrepublik Deutschland in München. Professor Hans ZÄHNER, der selbst einmal Landwirtschaft studiert hat, hält solche Absichten für äußerst problematisch. "Einmal ist es ein Eingriff in das ökologische System, der außerordentlich tiefgreifend ist, und auf der anderen Seite würde es eine Abhängigkeit der Landwirtschaft bringen, wenn dann eine Firma das entsprechende Herbizid hat und die entsprechende Getreidesorte beispielsweise, dann ist der Bauer hundertprozentig abhängig von dieser Firma und eigentlich nur noch ihr ausübender und kein freier Unternehmer mehr." Der Firma mag dies ja nützen, ähnlich wie im Fall der Hybrid-Getreide. Nicht genützt hatten diese der verarmten Landbevölkerung in der sogenannten "Dritten" Welt ~ obwohl sie ja im Rahmen der "Grünen Revolution" der sechziger Jahre angeblich den Hunger in den Entwicklungsländern hätten abschaffen helfen sollen. Die Kleinbauern oder -bäuerinnen und Pächer/innen konnten sich das teure neue, "moderne" Saatgut nicht kaufen, die Kluft zwischen reichen Großgrundbesitzern und Armen verschärfte sich. Gentechnologie - das ist keine Waffe gegen den Hunger, aber für multinationale Großkonzerne.
Wie steht es dann mit der Bedeutung der Gentechnologie für die Bekämpfung von Krankheiten - auch eine der so oft gehörten Versprechungen und Rechtfertigungen? Was ist zum Beispiel mit Inferon ? "Interferon wurde und wird immer noch als die Wunderdroge gegen Krebs proklamiert. Ich habe gerade vor einigen Tagen einen Artikel aus einer Zeitschrift gelesen, in der stand: "Einige Interferone können einigen Menschen manchmal helfen". Ich glaube, das sagt sehr viel über die Qualität und die Anwendbarkeit dieses Produktes aus, das ja aus dem menschlichen Körper kommt und das sehr vielfältige Wirkungen hat. In der Öffentlichkeit werden immer nur die erwünschten Wirkungen dargestellt und nicht die sogenannten unerwünschten - das heißt, die werden dann als Nebenwirkungen apostrophiert, als könnte man sie vernachlässigen. Sie sind aber in den meisten Fällen sehr viel größer als die erwünschten Wirkungen. Und eine derartige genaue Betrachtung ist für alle gentechnisch hergestellten Produkte notwendig, obwohl sie immer als sozusagen biologisch oder natürlich der Öffentlichkeit vorgestellt werden". Dies sagt Regine KOLLEK.
Zu Ostern 1984 war in der "Frankfurter Rundschau" über die Wunderdroge der Pressekonferenzen von 1979 zu lesen: "Bis zur therapeutischen Anwendung vergehen noch Jahre" - wenn sie überhaupt je möglich ist. Denn, so die FR: "Beim natürlichen Interferon handelt es sich um eine ganze Gruppe von Proteinen, die man in drei Klassen unterteilen kann. Jeder dieser Klassen werden zum Teil sehr unterschiedliche Wirkungen zugeschrieben. Es kann jedoch noch Jahre dauern, bis die Forscher die ideale interferon-Mischung für auch nur eine therapeutische Anwendung gefunden haben. Alle Interferon-Typen müssen erst einzeln klinisch auf ihre Wirksamkeit hin getestet werden". Stellt sich die Frage, ob nicht im Fall Interferon in verantwortungsloser Weise kranken Menschen und ihren Familien Illusionen als Hoffnungen verkauft wurden; dies meinen die Kritiker der üblichen Propagandamethoden. Oder sollen damit nur die immensen Entwicklungs- und Forschungskosten der Industriekonzerne gerechtfertigt, die letztlich ja die Konsumenten/innen, die Bürger/innen zahlen müssen? Professor Erwin CHARGAFF vermutet: "Wenn genug Geld hineingesteckt wird, muß etwas herauskommen. Und so wird auch in Zukunft etwas herauskommen, weil man Menschen mit Gewalt etwas einreden wird. Nur so kann man daran genug Geld verdienen. Schon heute werden die Ärzte ganz von der Pharmaindustrie gelenkt. Ein Arzt, der zehn Jahre lang außerhalb der Universität arbeitet, ist im Normalfall ein Ignorant. Informiert wird er durch die Broschüren der Pharmavertreter. Auf diesem Weg erfährt er etwas über die jeweils neuesten und besten Arzneien, an deren Folgen dann womöglich - wie jetzt im Falle einiger Rheumamittel - Menschen sterben. Ähnlich wird es auch im Fall Genindustrie verlaufen". Und was ist mit Insulin? Menschliches Insulin (chemisch gesehen) aus gentechnisch manipulierten Bakterien ist seit 1983 tatsächlich auf dem Markt. Gebraucht wird es vor allem von jüngeren Zuckerkranken. Vorher wurde Insulin vor allem aus den Bauchspeicheldrüsen von Schlachtvieh gewonnen, also aus Rindern und Schweinen. Erwin CHARGAFF: "Am Beispiel Insulin erkennt man, wie stark die Verflechtung zwischen Publizität, Reklame und giestiger Arbeit geworden ist. Die Forscher sind ihre eigenen Reklameagenten geworden". Regine KOLLEK:" Es gibt zwei Argumente, warum gesagt wird, daß wir nun auch menschliches Insulin aus Bakterien brauchen. Das eine ist, daß Insulin nicht ausreichen wird; das zweite ist, daß das gentechnisch hergestellte Menschen-Insulin besser ist. Beide Argumente kann man widerlegen, oder es gibt zumindest andere Argumente darüber und andere Untersuchungen, daß z.B. bei einer besseren Ernährung oder einer ausgeglicheneren Ernährung, z.B. mit Vollwertkost, der Insulinbedarf sehr gesenkt werden kann. Das heißt, man muß da sehr genau nachschauen, von welchen Voraussetzungen diese Bedarfsrechnungen ausgehen und kann da auch zu anderen Ergebnissen kommen. Der zweite Punkte, daß Humaninsulin sehr viel besser ist, stimmt auch nicht. Es ruft in nahezu gleichem Maße wie auch das Schweine- und das Rinderinsulin, das bereits auf dem Markt ist, allergische Reaktionen hervor. Das heißt, das Einzige, wofür es besser ist, ist der Profit für denjenigen, der es produziert". Produziert wird es derzeit vom US-Konzern Eli Lilly. Der Wirtschaftsjournalist Wolfgang Gehrmann ("Die Zeit") hat in seinem Buch "Gen-Technik ~ Das Geschäft des Lebens" (1984) die Hintergründe genauer untersucht: Zwar sei es fraglich, daß dem Konzern ein Gewinn bleibe, schreibt er, dennoch sei es für Lilly eine leichte Entscheidung gewesen, 60 Millionen Dollar in die Herstellung zu investieren. Der Forschungschef der Firma erwarte, daß tierisches Insulin aus den Schlachthäusern demnächst knapp werde. W. GEHRMANN fährt fort: "Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Viel wichtiger ist für Lilly, daß es mit seinem neuen Stoff ein Vehikel hat, in den von Hoechst beherrschten deutschen Markt einzudringen. Weltweit gehört dem US-Konzern der Markt für herkömmliches Insulin sowieso schon. _ Auf dem bundesdeutschen Markt führt Hoechst noch mit rund 70 Prozent Anteil. _ Den Angriff von Lilly wird Hoechst selbst erst später kontern können. _Wer den Insulinkrieg gewinnt, ist noch offen. Sicher ist nur dies: der erbarmungslose Konkurrenzkampf wird weltweit hohe Überkapazitäten für das Medikament hervorbringen. Die verbissene Auseinandersetzung auf dem Insulinmarkt gibt eine Vorahnung dessen, was kommen wird, wenn die Gentechnologie nicht mehr nur ein Produkt, sondern deren Hunderte hervorbringt". Also ~ auch ein Krieg, zwar nicht militärischer Art, doch mit Gentechnologie als Waffe. Und es folgt daraus: Die Frage der Verantwortung ist mit Schärfe auch an die gentechnologisch arbeitenden Firmen zu richten. Sie ist nicht nur eine der Forscher/innen und der Bürger/innen.
Wie sieht es mit der Genmanipulation an Menschen selber aus? In den Medien wird zumeist die Möglichkeit eines Homununculus" als Schreckgespenst an die Wand gemalt, also die Gefahr eines gentechnisch maßgeschneiderten Menschen. Das ist derzeit nicht machbar. Machbar ist aber eine andere Anwendung der Gentechnologie, nämlich die Gen-Analyse, auf englisch "genetic screening". Dies hielten alle meine Gesprächspartner für höchst bedenklich; so zum Beispiel Professor Hans-Joachim LIPPS: "Die eigentliche Gefahr der Gentechnologie für den Menschen sehe ich darin, daß wir eventuell glauben, Menschen aufgrund ihrer DNS-Sequenz klassifizieren zu können und damit eine scheinrationale Entschuldigung haben, bestimmte Gruppen gesellschaftlich zu benachteiligen, wie man es bisher zwar nicht gentechnologisch, aber nach dem selben Prinzip mit Hilfe experimenteller Psychologie, nämlich Intelligenztests usw., durchexerziert hat". Sie denken also daran, daß möglicherweise, wenn die Gleichstellung der Schwarzen mit den Weißen in den USA nicht mehr erwünscht wird, Schwarze aufgrund von Gen-Screening abqualifiziert werden könnten? "Solche Sachen, oder jede schwächere Gruppe, jede schwächere gesellschaftliche Gruppe, z.B. auch Sozialhilfeempfänger". Bereits ~ traurige ~ Wirklichkeit gewordene Fälle solcher Gen-Analyse wurden aus den USA gemeldet. Bei einer Untersuchung des Kongresses gaben 59 von 366 befragten großen Unternehmen an, solche genetischen Reihenuntersuchungen zu planen oder bereits durchzuführen. Einige dieser Tests zielen tatsächlich auf eine vorwiegend bei Schwarzen vorkommende Anomalie des roten Blutfarbstoffs, die Sichelzellanämie. Aber auch Weiße sind betroffen: Tausende von Chemiearbeitern sind in den USA bereits einem "genetic screening" unterworfen worden, angeblich zu ihrem eigenen Nutzen, damit nämlich nur die "weniger Empfindlichen" an den Arbeitsplätzen mit hoher mutagener Schadstoffbelastung, also mit krebsfördernden Schadstoffen um sich her, eingesetzt würden. Der Molekularbiologe Dr. Jonathan KING kommentierte bissig: "Natürlich ist es wesentlich teurer, am Arbeitsplatz die Cadmium-Konzentration zu senken, als genetische Tests durchzuführen".
Daß Arbeitnehmer ihre Chefs entführt hätten, um sie durch Genetic Screening darauf testen zu lassen, ob sie für den Chef-Arbeitsplatz geeignet seien, ist allerdings noch nicht vorgekommen.
Vorläufiges Ergebnis dieses Beitrags: Denkbare Anwendungsbereiche der Gentechnologie gibt es unübersehbar viele. Real machbar, praktikabel, ist derzeit nur wenig. Doch Gen-Ingenieure sind ehrgeizig und äußerst erfinderisch, und eventuell noch vorhandene moralische Schranken brechen unter Geld, Prestigedenken, Machbarkeits- und Gottähnlichkeitswahn leicht zusammen. Dr. Regine KOLLEK : "Wie wir aus der Erfahrung und aus der Geschichte wissen, wird ja meistens alles das, was auch möglich ist, gemacht, und von daher muß man sich nicht die Illusion machen, daß diese Dinge langfristig zu verhindern sind; wenn man nicht anders politisch argumentiert und auch vielleicht auf einer Ebene sich entscheidet, diese Dinge nicht zu tun, die eher einer gesellschaftlichen Meinungsbildung unterworfen wird, als daß diese Entscheidung nur den Wissenschaftlern überlassen wird". Professor Hans ZÄHNER: "Unsere Entwicklung ist so rasch, daß wir keine Möglichkeit haben, die hinter uns liegende Erfahrung zu sammeln und erst dann zu entscheiden, was wir machen sollen. Die Entwicklung geht so schnell, daß wir vorausschauen müssen". Damit spricht Professor ZÄHNER ein grundsätzliches Problem an: die Folgewirkungen der Gentechnologie lassen sich kaum abschätzen. "Die Frage der Zukunftsethik, was daraus wird, ist heute nicht zu beantworten, und das bedingt eigentlich, daß man Neuentwicklungen langsam einführt, sodaß man Zeit gewinnt, solche Entwicklungen zu beurteilen, bevor sie weltweit und unwiederbringlich eingeführt sind. Wir müssen die Technik einsetzen, aber nicht prinzipiell um Gewinne zu machen, sondern wir müssen sie einsetzen, auch, um die Folgen der Technik wieder zu beseitigen". Völlig unproblematische Anwendungen gibt es kaum; es erscheint nicht verantwortlich gehandelt, wenn von Betreiberseite wenige angebliche oder auch tatsächliche Vorteile dazu hergenommen werden, die gesamte Gentechnologie zu rechtfertigen. Eine Gefahr alleine kann aber auch nicht der Grund sein, sie~ andersherum ~ in Bausch und Bogen zu verdammen. Meine Gesprächspartner/innen haben nicht allgemeine Wissenschaftsfeindlichkeit auf ihre Fahnen geschrieben, sondern sie wollen erstens eine Wissenschaft mit verantwortbaren Zielen, Zwecken, Methoden - natur- und menschenfreundlich. Und sie halten zweitens eine genaue Prüfung insbesondere des einzelnen Falles für notwendig.
Zur Gentechnologie macht Professor Erika HICKEL einen konkreten
Vorschlag, und zwar für die parlamentarische Ebene:" Daß wir dann
eine solche Positivliste erstellen von Experimenten, die verantwortbar
und wünschbar sind, weil man sie überblicken und abschätzen kann.
Ich stelle mir vor, daß sie nur sehr, sehr klein ist ~ wenn sie
überhaupt positive Punkte umfaßt. Und daß alle anderen Experimente
und Anwendungen, die nicht abschätzbar sind in ihren Folgen oder
die zwar abschätzbar, aber nicht wünschbar sind von allen Menschen,
daß solche dann unterlassen werden sollten". Auch Professor Hans
ZÄHNER hält eine Kontrolle und Technikfolgenbewertung für sehr
notwendig. Er antwortet auf die Frage, wer die denn durchführen
soll, so: "Ohne Sachverstand geht es nicht, aber es geht auch
nicht mit dem Sachverstand allein; sondern hier müssen verschiedene
Gruppen zusammenkommen; die Fachleute müssen ihren Fachverstand
einbringen, und die anderen Leute müssen sich das mal anhören,
und sie müssen dann die Fragen stellen und immer wieder bohrende
Fragen stellen, bis man einen gewissen Konsensus erreicht". Soweit
dies die gentechnologische Forschung betrifft, hat Professor Erika
HICKEL dazu noch genauere Vorstellungen: "Die Gentechnologie-Kommision
im Deutschen Bundestag, die ich mitorganisiert habe, ist ja auch
so eine Einrichtung der Technikfolgenbewertung, aber gerade da
ist mir klargeworden, daß sie keinesfalls genügen wird, wenn nicht
außerhalb des Parlaments eine solche Bewertung stattfindet. Es
sollten lokale und regionale Bürgerinitativen sehr schnell, noch
in diesem Jahr, in der Bundesrepublik Deutschland ins Leben kommen,
deren Angehörige in die wissenschaftlichen Laboratorien in der
Industrie und in den Forschungsinstituten gehen, sich dort anmelden
und die Forderung stellen, daß die Wissenschaftler dort mit ihnen
darüber reden, was sie tun, warum sie es tun, mit welchen Methoden,
mit welchen Zwecken und wieviel Risikoabschätzung die Wissenschaftler
dabei bereits unternommen haben. Und dann kann man einen Bewußtseinswandel
bei den Wissenschaftlern, denke ich, schon sehr stark fördern.
Denn wenn da kein Druck von außen passiert, tun die es von selber
nicht, weil sie selber nur am Fortschritt und nicht an den Risiken
interessiert sind. Wir müssen generell, so war es auch bei der
Atomtechnik, davon ausgehen, daß eine Wissenschaft, die nicht
dem Laien gegenüber erklärt und begründet werden kann, daß die
in jedem Fall unmoralisch ist". Zur Biotechnologie abschließend
Professor ZÄHNER: "Man spricht von der Biotechnologie als von
einer der Zukunftsbranchen oder der Zukunftstechnologien; ich
glaube aber, er ist eine Verkürzung des Gesichtsfeldes, wenn man
Zukunft auf Gewinnmöglichkeit reduziert".
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