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2. Moderne Kommunikationsmedien und Naturwissenschaften
Welche Bedeutung haben die Medien, speziell die modernen Kommunikationstechnologien, für die Naturwissenschaften? Wie werden sie insbesondere durch die Teilnahme von immer mehr Menschen an elektronischer Kommunikation verändert werden? Die Antwort: was die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern für das ausgehende 15. und das 16. Jahrhundert und damit für die frühe Neuzeit bedeutet hat, das wird voraussichtlich die Elektronisierung der Kommunikation für die nahe Zukunft bedeuten, nämlich einen in seinen Folgen für das Denken, Reden und Schreiben über die Welt und für zentrale Bestandteile nicht nur der Wissenschaftskultur in seinem Ausmaß kaum zu überschätzenden gesellschaftlich-kulturellen Wandel(16). Zwar ist die Art der anstehenden Veränderungen, die der Übergang von den Print- zu den elektronischen Medien z.B. in der Verwendung von Sprache mit sich bringen wird, nicht genau vorhersagbar - daß es starke Veränderungen geben wird, ist jedoch kaum bestreitbar; um sie zu erforschen, wurde vor kurzem in Nordrhein-Westfalen eine interuniversitäre Arbeitsgruppe "Sprache, Literatur und Kultur im Wandel medialer Bedingungen" gebildet. Insbesondere die neueren Entwicklungen in der Nutzung internationaler Datennetze und die damit verbundenen Probleme lohnen einer solchen Betrachtung.
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2.a) Welche Bedeutung haben moderne Computernetze allgemein und speziell für die Naturwissenschaften?
Bereits jetzt ist mit der weltweiten Vernetzung von Computern der Konkurrenzkampf zwischen den herkömmlichen wissenschaftlichen Journalen und den E-Mail-Anschlagbrettern und Datenbanken entbrannt. BefürworterInnen des elektronischen Publikationswesens, das sich ohnehin in der einen oder anderen Form durchsetzen wird, verweisen auf die Vorteile einer schnellen, die Kooperation internationaler ForscherInnen-Gruppen fördernden Kommunikation. Gleichzeitig ergibt sich aber eine Reihe von Problemen: Die Grenzen zwischen informellem Informationsaustausch unter KollegInnen und einer wissenschaftlichen Veröffentlichung verschwimmen. Die Verläßlichkeit der Informationen, die in renommierten Zeitschriften durch ein aufwendiges GutachterInnensystem gesichert werden sollte, steht in den Netzen eher in Frage. Andererseits scheint, ebenfalls nicht von allen begrüßt, der Zugang zu den Informationen und zum Meinungsaustausch offener und demokratischer zu werden unter denjenigen Personen, die über einen Zugang zu den Netzen und die dafür notwendige Technologie verfügen(17) - teilnehmen kann nur, wer einen - möglichst preisgünstigen oder kostenlosen - Zugang zu einem vernetzten Zentralrechner hat. Vielfältige Probleme auf unterschiedlichen Ebenen können sich hier ergeben - zwei sehr verschiedene Beispiele seien genannt: Die genannte Demokratisierung kann es mit sich bringen, daß pornographischen Mißbräuchen und frauenfeindlichen Einspielungen kaum mehr ein Riegel vorgeschoben werden wird - die Mehrheit der Internet-Surfer sind Männer. Und es könnten über die Kontrolle des Zugangs - zumal bei desen weiterer Kommerzialisierung - die Hürden für TeilnehmerInnen in der "Dritten" Welt noch weiter erhöht werden.
Hinsichtlich der Naturwissenschaften wird die Kontrolle des Zugangs unter auch kommerziellen Gesichtspunkten und die Tendenz einzelner Wissenschaftlerkollektive, ihren Diskurs abzuschirmen, vermutlich zu einer Umstrukturierung des Wissenschaftsbetriebs führen, bei der neue, auf entsprechende Kommunikationsformen und Sprachregelungen bezogene Qualifikationen und Ressourcen eine Rolle spielen werden. Die derzeit geführte Debatte um die Einhaltung der ungeschriebenen Gesetze der NetzbenutzerInnen - "Netiquette" genannt - und die Bemühungen, die Netze für NutzerInnen durchsichtiger zu machen, verweisen in diese Richtung.(18)
Zudem sind erste Tendenzen erkennbar, in welcher Weise sich infolge
elektronischer Kommunikation die allgemeinen und besonders die
wissenschaftlichen Sprachformen verändern werden. Das Gebot der
Kürze wird zu komprimierten Insidercodes und Kürzeln führen. Diese
und die verwendeten Bilder entschlüsseln zu können, wird zu einer
Voraussetzung für die Teilnahme werden.
Beängstigend ist in diesen Zusammenhang, daß die Tendenz, das
für real zu halten, was kommuniziert wird, die Entwicklung von
"Virtualität" begünstigt. Auch die zunehmende Bedeutung, die Bilder
bei der Wahrnehmung und Konstruktion von Realität spielen (Stichwort
"Multimedia" (19)),unterstützt diese Entwicklung. Aufgrund der Faszination von
Bildern, die sprichwörtlich mehr sagen als tausend Worte - was
auch innerhalb der Wissenschaften gilt -, wurde der Zusammenhang
von Bildern und Wissen inzwischen selbst zum Gegenstand eines
- neuen - Wissenschaftszweiges, der "imaging science"; sie untersucht
Visualisierungsprozesse(20). In dem Maße, in dem die Wirklichkeit von der Wirklichkeit des
Datenflusses in internationalen Netzen dargestellt wird, steigen
die Schwierigkeiten, zwischen Vorstellung und Möglichkeit einerseits
und Befund und Tatsache andererseits sicher zu unterscheiden.
Die entstehende Unsicherheit, die sich z.B. beim Golfkrieg nach
dem Eingreifen der US-Truppen 1991 hinsichtlich der Berichterstattung
und deren politisch-taktischer Manipulation entwickelt hat(21) , betrifft grundsätzlich auch den wissenschaftlich technischen
Informationsaustausch.
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2.b) Wie beeinflussen moderne Medien Denkstile und Wahrnehmungsmuster?
Analog zum Buchdruck seit Gutenberg, der u.a. einen Wandel der
herrschenden Vorstellungen und Denkstile mit sich gebracht hat,
wird der Übergang zu elektronischen Medien ebenfalls die Wahrnehmungsmuster
und Denkstile verändern. Dabei geht es allerdings nicht darum,
die durch die neuen Medien ausgelösten Entwicklungen zu verteufeln.(22) Sondern es ist zu erwarten, daß schon bald eine Gewöhnung an
die neuen Medien eintritt, wobei die inzwischen eingetretenen
Veränderungen nicht mehr wahrgenommen werden. Es lohnt daher,
prüfbare Hypothesen über den erwartbaren Wandel in Wahrnehmung
und Denkstil jetzt zu entwickeln. Wenn zum Beispiel, wie es am
Medium Fernsehen ablesbar ist, in Zukunft die Tendenz zunehmen
wird, eindrückliche Bilder und knappe, geschriebene oder gesprochene
Texte differenzierteren Texten vorzuziehen, so wird diese Entwicklung
möglicherweise differenziertere Wahrnehmungsstrukturen für bildliche
Darstellungen erfordern und diese vielleicht auch hervorbringen
(siehe oben die "imaging science"). In erster Linie - wie bisher
- an Texten geschulten Personen mag ein solches Vorgehen zu assoziativ
und zu wenig präzise erscheinen. Sie mögen befürchten, daß ein
möglicher Gewinn an Anschaulichkeit zu Lasten abstrakterer Denkfiguren
gehen könnte und zwar so weitgehend, daß komplexere Zusammenhänge
nur mehr insofern thematisiert werden können, als sie auch visualisierbar
sind. Wenn es auch schwer vorstellbar ist, daß sich demgegenüber
eine neue differenzierte Bildsprache und Metaphorik entwickeln
wird, die dann zwar andere, aber nicht minder komplexe Phänomene
und Zusammenhänge darzustellen und zu denken in der Lage wäre,
so ist dies jedoch durchaus denkmöglich.
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Welche Konsequenzen lassen sich aus den obigen Ausgangspunkten, Beobachtungen und Analysen für Unterricht und Bildungsarbeit ziehen? Was kann speziell die Medienpädagogik angesichts dieser Entwicklungen tun?
3. Konsequenzen für Unterricht und Bildungsarbeit
Wenn aufgrund demokratiepolitischer Überlegungen ZuschauerInnen
bzw. Medien-KonsumentInnen wünschenswert sind, die den Medien
nicht machtlos ausgeliefert gegenüberstehen, so müßten diese gelernt
haben, erstens, die "Mach-Art" der Medienberichte zu durchschauen
sowie zweitens die Produktionsbedingungen der neuen Medien zu
kennen.(23) Hier stehen Schule und Weiterbildung vor interessanten und zukunftsbezogenen
Aufgaben.
Hinsichtlich der "alten Medien" - aber auch gegenüber den "neuen"
- ist es besonders wichtig, Medienlese- und -analysefähigkeiten
zu entwickeln und auszubilden. Diese werden in der internationalen
Diskussion als "media literacy" bezeichnet. "Media literacy" beinhaltet
hinsichtlich der genannten zwei Apekte ein Mehrfaches:
Es sollen die Fähigkeit zur Distanz gegenüber medialen Berichten,
ein medienkritisches Problembewußtsein und medienanalytische Kenntnisse
vermittelt werden, hinsichtlich audiovisueller Medien insbesondere
Kenntnisse darüber, wie mittels Kameraführung, Bild-Einstellungen,
Montagetechniken und anderen filmischen oder darstellerischen
Mitteln bestimmte Sichtweisen, Einstellungen und Haltungen unterstützt,
andere aber abgeschwächt werden, und wie damit Meinung gebildet
und Politik gemacht wird. Es soll also z.B. die Fähigkeit ausgebildet
werden, die Fernsehsprache, einschließlich der Bildsprache, kritisch
lesen zu können.
Zur Analysefähigkeit gehört es weiter - über den direkten Umgang
mit Medien hinaus - diesen Umgang selbst zu thematisieren und
u.a. die Selbstverständlichkeit, die viele Jugendliche und auch
Erwachsene im Umgang mit den Medien entwickelt haben, als eingeübte
Wahrnehmungsmuster durchschaubar zu machen und die Aufmerksamkeit
auch auf die dahinterliegenden medienspezifischen Konstruktions-
und Produktionsprozesse zu lenken.
Speziell hinsichtlich der Naturwissenschaften ist es wichtig,
im Unterricht die Rolle von ExpertInnen und Gegen-ExpertInnen
zu thematisieren und zumindest ansatzweise ein Verständnis dafür
zu vermitteln, wie naturwissenschaftliche Ergebnisse zustandekommen
- und wie sie dementsprechend hinsichtlich ihrer Gültigkeit oder
Begrenztheit - sowie ihrer notwendig vorhandenen "subjektiven"
Anteile in den Personen der Expertinnen und Gegenexpertinnen -
zu beurteilen sind oder beurteilt werden können.
Außerdem soll im Unterricht der Frage nachgegangen werden, wie Themen und Darstellungsformen auf den Bildschirm kommen, und
welche Entscheidungs-, Besitz- und Interessensstrukturen bestimmen,
welche Ausschnitte der Realität wie abgebildet bzw. rekonstruiert werden.
Für die Darstellung der Produktionsbedingungen und Wirkungsweisen
der Medien ist als Grundlage ein ausgeführtes Modell der (Massen-)
Kommunikation notwendig. Mit dessen Hilfe können neben der RezipientInnenseite
auch Fragen der Konstruktion von Medienwirklichkeiten, wie sie
als Frage am Anfang dieses Artikels aufgeworfen wurden, im Unterricht
erschlossen werden. Die allfällige Diskussion zur Finanzierung
bzw. Privatisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks oder
die Debatte zur Rolle der Medien im politischen Feld - üblicherweise
im Umfeld von Wahlen - geben hierzu hinlänglich Anlaß. Zu beiden
Ebenen der Medienanalyse wurde bereits in den 70er Jahren grundlegende
Literatur veröffentlicht, die nichts an Aktualität eingebüßt hat.(24) Daß SchülerInnen hieran großes Interesse entwickeln können, konnte
in den letzten Jahren am Oberstufenkolleg (OS) an der Universität
Bielefeld festgestellt werden, als im Ausbildungsschwerpunkt "Medien"
Kurse zur Fernseh- und Filmanalyse - und zwar sowohl von fiktionalem
als auch von dokumentarischem Material - durchgeführt wurden.(25) Die Lehrenden sollten es bei Medien-Kursen allerdings ertragen lernen, wenn
Lernende andere Zugänge und Nutzungsmöglichkeiten entdecken, als Lehrende
sie wollen oder eingeplant haben.
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