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Naturwissenschaften und Medien
von Margarete Maurer und Karl Peter Ohly
(aus: PCnews, Nr. 47, Jg. 11, Heft 2, Wien, April 1996, S. 26-31
bzw. aus Medien-impulse, 4. Jg., Heft 13, hg. vom BMUK, Wien, September
1995, S. 4-12)
Das Verhältnis zwischen Medien und Naturwissenschaften ist vielfach gebrochen, zeigt keine Einheitlichkeit und manchen Widerspruch:
Einerseits verdankt alles, was wir heute unter "Medien" verstehen, in irgendeiner Weise seine Existenz naturwissenschaftlich-technischem Wissen und handwerklichem Können, und im Fall der sogenannten "Neuen Medien" oder "Neuen Kommunikationstechnologien" - von vernetzten Computern am Arbeitsplatz bis zum weltweiten Internet sind die Beziehungen zwischen technisch-naturwissenschaftlichen ExpertInnen und diesen Medien sehr eng: Entwicklung und Anwendung fallen hier oft noch ohne räumliche oder zeitliche Trennung zusammen, aber mit zunehmender Kommerzialisierung wird es hier eine größer werdende Kluft geben.
Andererseits ist die wechselseitige Anziehungskraft zwischen NaturwissenschaftlerInnen und den "alten" Medien sehr gering "alte" Medien in diesem Falle verstanden als Rundfunk und Fernsehen sowie als Printmedien, die auf ein breites Publikum gerichtet sind also ohne Fachzeitschriften und ohne Public Relations-Medien gentechnischer, chemischer und pharmazeutischer Firmen(1) . Von der Seite dieser Medien "alter" Art her nimmt die naturwissenschaftliche Berichterstattung insgesamt eher eine Randstellung ein. Und von der Seite der ProfessorInnen naturwissenschaftlicher Fakultäten werden umgekehrt kaum Gründe gesehen, sich mit Medienberichten zu naturwissenschaftlichen Aspekten zu befassen - es sei denn, sie arbeiten im Bereich der Molekularbiologie, d.h. mit gentechnischen Methoden und sind über den Akzeptanzverlust besorgt, der ihrer Meinung nach durch die in ihren Augen "technikfeindliche" Berichterstattung erfolgt, und durch die sie die Rahmenbedingungen für ihre Tätigkeit negativ beeinflußt sehen: die Freudigkeit öffentlicher Geldvergaben könnte dadurch reduziert und sie betreffende Gesetze und Verordnungen entgegen ihren Interessen ausgestaltet werden, lauten die Befürchtungen (Näheres siehe unten).
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Und das Verhältnis von Medien und naturwissenschaftlichem Unterricht?:
Unterrichtsfilme oder Ausschnitte aus geeigneten Fernsehfilmen
können den Unterricht auflockern(2) , werden als Pausenfüller verwendet oder bieten bildliche Darstellungen,
die in ihrer Einprägsamkeit dem verbalen Lehrervortrag weit überlegen
sein können.(3) Die bewegten Bilder dienen also einerseits durch Animation und
schematische Darstellungen der Anschaulichkeit, insbesondere hinsichtlich
der Wahrnehmung von zeitlichen Veränderungen und dynamischen Prozessen.
Andererseits scheint mit den bewegten Fernsehbildern auch eine
rezeptive Lernhaltung verbunden zu sein. In Zusammenhang mit den
sozialisierenden Effekten des Fernsehens im Kindesalter wird zunehmend
problematisiert, daß hier Wahrnehmung Erfahrung ersetzt, eine
"Dressur" auf Rezeption versus tätiger Auseinandersetzung mit
realer Welt Platz greift.
Ein weiterer Wirkungsaspekt speziell des Mediums Fernsehen deutet
zunächst auf eine Überlegenheit gegenüber dem Schulunterricht
hin: Bei einer Fragebogenuntersuchung der Universitäten Göttingen
und Frankfurt am Main hatten Anfang der siebziger Jahre knapp
siebzig Prozent der Studienanfänger im Fach Biologie angegeben,
primär durch das Medium Fernsehen für ihre Studienfachwahl motiviert
worden zu sein; in einer ob dieses "unglaublichen" Ergebnisses
zusätzlichen Studie der Universität Frankfurt ergab sich, daß
bei den Frankfurter BiologiestudentInnen damals (1974 und 1975)
zwar die eigene Lektüre an erster Stelle genannt wurde (zu 70
%), aber die Anregungen durch biologische Sendungen in Rundfunk
und Fernsehen immer noch 50 % betrugen, gefolgt von Schule (immerhin
49%) und BiologielehrerInnen (45% der Nennungen)(4) ; entsprechende Untersuchungen aus Österreich liegen uns nicht
vor. Ob durch die Fernsehen nicht nur motiviert, sondern auch
ein adäquates Bild der späteren Studien- und Berufspraxis gegeben
wird, ist allerdings fraglich - die Abbruchquoten aufgrund nicht
erfüllter Erwartungen sprechen hier eine deutliche Sprache. Aus
der Sicht vieler SchülerInnen kann die Schule mit den Medien dennoch
nicht mithalten. So gelten beispielsweise Schullehrbücher, speziell
naturwissenschaftliche, manchen nachgerade als öd: "Das Schulbuch
wird von seinen Lesern gemeinhin nicht als Buch respektiert, sondern
als eine Art Katalog, der den Foltervorgang des Gelehrt- und Erzogenwerdens
gliedert, unterstützt und verschärft. Chemiebücher: Broschüren
des Grauens. Biologie-Bände? Bis auf ein paar interessante Abbildungen
(Nackige Weiber! Zümpfe(5) in echt! Eklige Ekzeme!) nichts als gebundene Chromosomenfriedhöfe,"
wie die stellvertretende Chefredakteurin der Wiener Stadtzeitung
"Falter" kürzlich ihre diesbezüglichen persönlichen Erfahrungen
beschrieb.(6)
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Von den vielfältigen Aspekten, die die Thematik "Naturwissenschaften und Medien" - aus den oben genannten Gründen oder trotz ihrer - umfaßt, seien im folgenden zwei Bereiche exemplarisch näher behandelt:
Die gesamte Thematik wird zunächst allgemein, speziell aber am Beispiel des Fernsehens diskutiert, das für heutige Jugendliche eine wesentlichen Anteil ihrer Freizeitbeschäftigung darstellt - und auch im schulischen Unterricht werden manchmal Fernsehfilme oder Ausschnitte aus solchen verwendet.
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1. Naturwissenschaften und "alte" Medien
1.a) Welche Bedeutung haben die Naturwissenschaften in den und
für die Medien?
In Hinsicht auf diese Frage seien hier unter "Naturwissenschaften"
vor allem die traditionellen Fächer Physik, Chemie, Biologie -
einschließlich medizinischer Grundlagenforschung -, Geologie,
Astronomie etc. verstanden, die technischen Aspekte allerdings nicht ausgeblendet, was gleich einen weiteren
Problemaspekt zeigt: die Auswahl und Definition von Themen und
Meldungen in den Medien erfolgt nicht entlang dieser disziplinären Strukturierung, sondern nach ganz
anderen Gesichtspunkten, z.B. nach aktuellen Anknüpfungspunkten,
vermuteten Wünschen des Publikums, PR- und Wirtschafts-Interessen,
auch nach Vorlieben oder persönlichen Interessen von RedakteurInnen,
eventuell auch nach politischen Positionen und wissenschaftspolitischen
Rücksichtnahmen, und schließlich sind auch naturwissenschaftlich
sehr interessierte RedakteurInnen auf das diesbezügliche Wissen
und Können ihrer MitarbeiterInnen angewiesen, die einen sehr großen
Anteil der Beiträge gestalten. Die folgende Feststellung aus einer
für die Thematik "klassischen" Untersuchung, "Biologie im Fernsehen"
von 1981, in der neben einer Analyse von Fernsehsendungen mittels
Fragebögen auch Wert gelegt wurde auf den "Dialog mit den Fernseh-Verantwortlichen
und den Filmeherstellern", dürfte auch heute noch Gültigkeit haben:
"Recht schwer ist auf diese Weise der Schleier zu lüften, wenn
es um heikle Dinge geht wie: Wer bestimmt eigentlich Ausmaß und
Tenor der biologischen Sendungen: Die Intendanten? Die Redaktionen?
Die Filmemacher? Das Publikum?"(9)
Insgesamt nehmen die Naturwissenschaften in den Medien keinen großen Stellenwert ein, obwohl das Publikumsinteresse - zumindest das der besser Gebildeten - an naturwissenschaftlich fundierten Beiträgen ob der sich verschärfenden Mitweltprobleme und auch hinsichtlich medizinischer Fragen in den letzten Jahren gestiegen ist - ein begrenzter Markt ist durchaus vorhanden. Wer sich schnell, treffsicher und auf ausreichend hohem Niveau über die weitreichenden Auswirkungen des naturwissenschaftlich-technischen "Fortschritts" und seine gesellschaftlichen Voraussetzungen sowie die damit verbundenen Interessenskonflikte informieren will, kann dies - zumindest in Österreich - jedoch alleine durch den Konsum der Massenmedien keineswegs erreichen, sondern bleibt auf Speziallektüre und persönliche Kontakte angewiesen - dies trotz der in Wochendausgaben von großen Tageszeitungen üblichen Wissen/schafts/seiten und der durchaus vorhandenen Bemühungen einiger WissenschaftsredakteurInnen in den audiovisuellen Medien.
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Naturwissenschaften in den Printmedien
Berichte mit naturwissenschaftlichen Schwerpunkten nehmen in den
österreichischen Printmedien - mit deren steigender PR-Orientierung
- quantitativ eher ab, in der BRD hingegegen eher zu, wobei es
auch Ausnahmen gibt. Die Wiener Tageszeitung "Der Standard" beispielsweise
bemüht sich sehr um eine wissenschaftlich interessierte Klientel:
neben einer universitätsbezogenen Berichterstattung werden wissenschaftlich,
ökologisch oder gesellschaftlich interessante Themen von naturwissenschaftlichen
Top-Journals wie "Nature" und "Science" ausgewertet und häufig
zu Berichten verarbeitet; zumindest eine Ahnung über die laufende
Entwicklung in bestimmten ausgewählten Bereichen wird hier vermittelt,
auch wenn dies das Studium von Fachzeitschriften nicht ersetzen
kann. Werden aber z.B. die bundesdeutschen "Die Woche", "Die Zeit"
oder das Magazin "Der Spiegel" dem am ehesten vergleichbaren österreichischen
Nachrichtenmagazin "profil" gegenübergestellt, so stellt sich
heraus: alle drei bundesdeutschen Medien können einen eigenen
Wissenschaftsteil vorweisen, das "profil" jedoch überhaupt nichts
dergleichen. Diese Situation war nicht immer so, sondern besteht
erst seit nicht sehr langer Zeit: entsprechend qualifizierte und
interessierte MitarbeiterInnen des "profil" wurden entlassen.
Auch die ökologische Berichterstattung kommt im"profil" seit seiner
internen Umstrukturierung zu kurz. Der Herausgeber will als Themen:
"keine Schadstoffe in der Nahrung, keine Schadstoffe in Textilien
- Positives!"
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Naturwissenschaften in Radio und Fernsehen
Die Berichterstattung in Radio und Fernsehen betrifft nur zum
sehr geringen Teil die Entwicklung der Naturwissenschaften selbst.
Es stehen Natur-Sendungen, Tier-Bilder, ökologische Katastrophenmeldungen
und medizinisch-biologische, auf das körperlich-geistige Wohlbefinden
gerichtete Beiträge im Vordergrund. Insbesondere in die zuletzt
genannte Richtung gehen vorrangig auch die Bedürfnisse des Publikums.
Von den Verantwortlichen des Ersten Programms im Hörfunk des Österreichischen Rundfunks (ORF) wird gemeldet, daß diesbezüglich
eine in den letzten Jahren sogar gestiegene Nachfrage zu beobachten
sei. Dies wird von ihnen darauf zurückgeführt, daß sich zusätzlich
zur bisherigen ZuhörerInnenschaft des älteren - zumeist über fünfzigjährigen
- Bildungsbürgertums eine weitere Klientel Zwanzig- bis Dreißigjähriger
entwickelt habe, zu der vor allem StudentInnen gehören.(10) Das in den letzten Jahren gestiegene Gesundheits- (und Umwelt)
-Bewußtsein könnte unseres Erachtens gleichfalls eine Rolle spielen.
Das Angebot des ORF-Hörfunks, Sendungsmitschnitte auf Audio-Kassetten
bestellen zu können, habe sich nachgerade zu einem "Hit" entwickelt,
wobei eine Sendung zum Ursprung der biologischen Evolution zu
den "Rennern" gehörte; physikalische-chemische Themen werden demgegenüber
eher selten behandelt.
Soweit sich entsprechende Themen akustisch darstellen lassen,
werde außerdem im Hörfunk des ORF seit 1992 gezielt versucht,
den naturwissenschaftsbezogenen Anteil der hier zentralen Sendereihe
"Dimensionen - die Welt der Wissenschaft", die werktags zur günstigen
Abendzeit - von 19.00 bis 19.30 Uhr - ausgestrahlt wird, und die
bei der ORF-internen Medienforschung vom Publikum sehr positiv
bewertet worden sei, auszudehnen; er liegt derzeit trotzdem nur
bei etwa 35 Prozent. Wenn es größere wissenschaftliche Veranstaltungen
gibt, versuche man, Ergebnisse und Positionen daraus möglichst
schnell in Sendungen umzusetzen. Am interessantesten hinsichtlich
zu erwartender Zukunftstrends - auch aufgrund naturwissenschaftlich-technischer
Entwicklungen - ist allerdings die anspruchsvolle und problembewußte
40-Minuten Sendung "Nova", einmal wöchentlich. Hinsichtlich naturwissenschaftlicher
Anteile hingegen kaum relevant ist die Reihe "Radiokolleg": diese
ist laut ORF vor allem "bildungsbezogen" - weniger "wissenschaftsbezogen".
Auch in der einstündigen Reihe "Salzburger Nachtstudio" kommen
naturwissenschaftsbezogene Themen nur selten vor (zu etwa zehn
Prozent).
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Wie sieht es diesbezüglich im Fernsehen aus?
Großzügig gezählt, entfallen bei deutschen Fernsehsendern (ARD,
ZDF, WDR, 3sat und arte) auf medizinische und naturwissenschaftlich-technisch
Sendungen im weitesten Sinne derzeit etwa 2,6 Prozent der Sendezeit;
bei diesen stehen mit 54 Prozent Natur- und Tierfilme im Vordergrund,
etwa 15,1 Prozent betreffen Gesundheitsthemen, 13,4 Prozent Umwelt,
9,8 Prozent Forschung und Technik und 8,3 Prozent Computerfragen.(11) Dieser Trend gilt ähnlich auch für Österreich, d.h. für das Fernsehen
des ORF.
Zwar haben naturwissenschaftliche Problemstellungen gegenüber
geisteswissenschaftlichen den prinzipiellen Vorteil, daß sie sich
bildlich besser darstellen lassen - das heißt aber leider nicht,
daß das ORF-Fernsehen den oben genannten Anforderungen besser
nachkommen würde als der Hörfunk. Dies liegt zum einen an der
Themenauswahl oder der Form ihrer Präsentation, zum anderen daran,
daß es seit 6. März 1995 eine Programmumstrukturierung gab, die
u.a. auf einer Umorientierung auf Einschaltquoten und mehr Werbung
beruhte - u.a. aus finanziellen Gründen. Da sich für naturwissenschaftliches
Wissen vor allem ein bestimmter - nicht sehr großer - Teil des
Publikums, das sog. Bildungsbürgertum, interessiert, bedeutet
dies von vorneherein einen Bedeutungsverlust für wissenschaftsorientierte
Beiträge. Weiter fiel der Suche nach Stellen im Programmschema,
an denen Werbespots eingeblendet werden könnten, auch die Reihe
"Wissen aktuell" zum Opfer, die allerdings nicht sehr umfangreich
gewesen war (ein bis zwei Beiträge in nur fünf Minuten Sendezeit);
die RedakteurInnen wurden damit getröstet, daß erstens ab 1996
die aktuelle Sendung "Modern Times", die auch via Internet abgerufen
werden kann und viele medizinische Beiträge enthalte, einmal wöchentlich
gesendet werde, daß es ein- bis zweimal monatlich freitags eine
(namenlose) "Spätabends-Leiste" für Dokumentationen gebe, und
daß schließlich nunmehr in den täglichen Nachrichtensendungen,
die ja von sehr vielen Personen gesehen würden, wissenschaftsbezogene
Kurzmeldungen eingebracht werden könnten. In diesen kommen - wenn
der Juni 1995 als Beispielmonat gewählt wird - Meldungen zur Raumfahrt
und zur Medizin (inklusive der Pharmaforschung und Gentechnik)
thematisch der größte Anteil zu, gefolgt von Umweltthemen und
Umwelttechnik. Meldungen zur biologischen Forschung, wie z.B.
zum Human Genome Project oder zur botanisch-zoologischen Erforschung
des venezolanischen Regenwaldes, kommen vor, sind aber im allgemeinen
Medizin oder Umwelt zugeordnet; andere naturwissenschaftliche
Disziplinen wie Astronomie, Geologie, Physik tauchen lediglich
in Einzelfällen auf und betreffen vor allem Sensationen wie die
"Geburt eines neuen Sterns", die "Geburt einer neuen Insel" (durch
einen Vulkanausbruch) oder eine Atombombensprengung in Kasachstan,
oder auch "Urknall bestätigt". Eine fundierte Hintergrundberichterstattung
oder gar die Erhöhung des Verständnisses für naturwissenschaftliche
Zusammenhänge kann mit solchen Kurzmeldungen nicht erreicht werden.
Bietet hier die populäre Reihe "Universum" Ersatz? Diese weist
sehr hohe Einschaltquoten auf und gilt als wichtigste Wissenschafts-Sendung
des ORF-TVs; sie stellt aber eher eine populäre Unterhaltungssendung
dar - laut Redaktion gilt sie von der Gestaltung her als "kulinarisch".
Auf diese Reihe haben sich außerdem die mit der Umstrukturierung
verbundenen Budgetkürzungen sehr gravierend ausgewirkt: es fehlt
nunmehr das Geld für Eigenproduktionen, etwa 80% der Sendungen
werden von außen eingekauft. Damit wurde nicht nur eine Möglichkeit
stark beschnitten, sich mit herausragenden Ideen zu profilieren.
Die Übernahme ausländischer Sendungen reduziert außerdem gedankliche
Vielfalt, stützt eher ohnehin vorherrschende Meinungen und erlaubt
insbesondere keine regionale oder lokale Bezugnahme auf die jeweils
eigene Situation und deren Problematik - gerade darin läge aber
die Chance entsprechender Berichte, denn das Weltgeschehen wird
vorwiegend lokal realisiert. Die eingekauften Beiträge gehen außerdem
eher in Richtung heiler Natur-, Landschafts- und Tier-Bilder als
in Richtung naturwissenschaftlicher Auseinandersetzung mit Zuständen,
Voraussetzungen und Folgen der industriellen Zivilisation.
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Naturwissenschaftlich-technische Aspekte kommen zwar auch in anderen TV-Kategorien vor - z.B. in medizinischen oder auf eine gesunde Ernährung bezogenen Lebenshilfe-Sendungen wie "Wir" - , in Spielfilmen (dazu siehe unten) oder auch als Hintergrund in Science Fiction-Filmen, welche jedoch zumeist nicht viel zur naturwissenschaftlichen Informiertheit ihres Publikums beitragen. In der aktuellen oder der politischen Berichterstattung hingegen kommen naturwissenschaftliche Meldungen vor allem dann vor, wenn es sich um Sensationen oder spektakuläre Ereignisse handelt oder wenn es um die Rettung der Menschheit vor Aids und Krebs durch naturwissenschaftliche Grundlagenforschung geht. Kritische Hintergrundsendungen zum vollen Spektrum der drängenden naturwissenschaftlich-gesellschaftlichen Probleme und neuen Entwicklungen sind daher zumindest zur Zeit im ORF-TV weitgehend ein Desiderat.
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1.b) Welches Bild der Naturwissenschaften und der NaturwissenschaftlerInnen
wird in den Medien vermittelt?
Obwohl in der Öffentlichkeit der Glaube an die automatische Verknüpfung
von Naturwissenschaft und Fortschritt ins Wanken geraten ist,
wird von seiten der Medien her eher noch das Bild der objektiven
"Götter in Weiß" - in Labormantel bzw. in Sakko oder Anzug - propagiert.
"Göttinnen in Weiß" gibt es weniger: die Naturwissenschaftlerin
kommt in den Medien seltener vor als in den Forschungsstätten.
Wenn eine Aussage abgesichert werden soll, wird der Experte ins Bild gebracht und in Szene gesetzt - nach wie vor repräsentieren
in den Medien Wissenschaftler und einige wenige Ausnahme-(Vorzeige-?)
Wissenschaftlerinnen die Naturwissenschaften und damit Objektivität,
gesicherte Erkenntnis, "Wahrheit" an sich oder pur. Und dies,
obwohl es zu praktisch jeder wissenschaftlichen oder die Naturwissenschaften
berührenden technisch-sozialen oder mitweltbezogenen Frage immer
sowohl den Experten - manchmal auch die Expertin - gibt, als auch
den Gegen-Experten , häufig auch die Gegen-Expertin. In den Bildeinstellungen
wird hierbei jedoch manchmal "manipuliert", d.h. eine bestimmte
Einstellung zu den ExpertInnen wird von der Kamera präjudiziert
und suggeriert: So waren bei einer deutschen Fernseh-Sendung zur
Gentechnik(12) - in Anwendung der Methode der sogenannten Bedeutungsperspektive
- die vier Pro-Experten von unten oder vorne gefilmt worden, was
ihnen mehr Gewicht verlieh, ihre Größe und damit Bedeutung erhöhte,
wohingegen die (einzige) Gegen-Expertin jedoch in der Draufsicht
gezeigt wurde, d.h. es war schräg von oben auf sie herab gefilmt
und daher auch auf sie geblickt worden, was ihre Seriosität und
Bedeutung gestalterisch von vorneherein herabsetzte. Dies entsprach
der Tendenz der Sendung, nach der Gesetzgebung und Verwaltungsmaßnahmen
angeblich die deutsche Genforschung und die gentechnisch unterstützte
Arzneimittelproduktion (z.B. von Insulin oder dem Blutgerinnungs-Faktor
VIII) zu strangulieren drohten.
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1.c) Zur Funktion von Medienbeiträgen mit naturwissenschaftlicher
Thematik
Wird nach der Funktion von Beiträgen mit naturwissenschaftlich-technisch-medizinischen
Anteilen gefragt, so stehen zwei für jede moderne Demokratie sehr
wichtige Aspekte im Vordergrund: ihr Beitrag zur Realisierung
des Bildungsauftrags und - davon keineswegs unabhängig - ihr Beitrag
zum politischen Diskurs. Der von der Medienseite wichtige Aspekt
der Unterhaltung, neuerdings "Infotainment" genannt, sei hier
hingegen nicht weiter besprochen, obwohl es gerade zwischen diesen
beiden Anforderungen zu gravierenden Unvereinbarkeiten kommen
kann, oder eine Redaktion bzw. ein Herausgeber sogar zugunsten geschmackvollen
Infotainments auf die wichtige Funktion provozierender kritischer
Berichterstattung zu naturwissenschaftlich-technischen Entwicklungen
und Umweltproblemen verzichtet, wie im Fall des oben erwähnten
österreichischen Nachrichtenmagazins "profil".
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Realisierung des Bildungsauftrags
Ein Teil der Sendungen, insbesondere diejenigen zu Gesundheitsfragen
und zu Computerthemen, haben erklärtermaßen Ratgeberfunktionen.
Ähnlich wie der Printmedienbereich zeigen sie damit eine Spezialisierung
auf bestimmte interessierte Teilgruppen des Publikums. So hat
sich im Bereich der Wochen- und Monatszeitschriften insbesondere
in Bezug auf Computerthemen, aber nicht nur dort, eine erstaunliche
Vielfalt von Titeln etabliert. Aufgrund entsprechender Entwicklungen
in den USA ist der Schluß gezogen worden, analog werde auch im
europäischen Fernsehen ein solcher Trend zu spezialisierten Spartenkanälen
zum Tragen kommen. Ob dies für den deutschsprachigen Raum zutrifft,
läßt sich noch nicht sagen. Einer der neuen deutschen Nachrichtenkanäle,
"vox", hat sich zum Vollprogramm entwickelt, wohingegen "n-tv",
das vorwiegend Nachrichten und Ratgebermagazine sendet, sowie
die Musik- und Comik-Kanäle, der genannten Prognose entsprechen.
Solche Entwicklungen können allerdings nicht unabhängig von der
Finanzierungsfrage beurteilt werden. Soweit es sich nicht um öffentlich
- d.h. durch Gebühren - finanzierte Veranstaltungen handelt, wird
der Markt über die dauerhafte Ausstrahlung solcher Programme entscheiden
- dies unabhängig davon, ob sie direkt über "pay-tv" oder indirekt
über Werbeeinnahmen finanziert werden. Selten beschränkt sich
die Wirkung entsprechender Sendungen auf bloße Informationsvermittlung.
In dem Maße, in dem sie meinungsbildend oder handlungsorientiert
wirken, beeinflussen sie direkt auch die gesellschaftliche Praxis.
So werden z.B. durch Gesundheitssendungen Selbsthilfegruppen für
bestimmte (chronische) Krankheiten popularisiert und gelegentlich
wohl auch initiiert, oder es werden vermittelt durch Informationen
über den Impfzustand der Bevölkerung und die mit dem Verzicht
auf Impfungen (angeblich) verbundenen Risiken standes- und gesundheitspolitische
Ziele beteiligter Interessensgruppen verfolgt.
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Beitrag zum politischen Diskurs
Hinsichtlich gesellschaftlicher Auseinandersetzungen sind verschiedene
Effekte zu unterscheiden: Vordergründig werden - verstärkt durch
die immer noch stark in eine Richtung funktionierende Massenkommunikation
- die inhaltlichen Positionen der jeweiligen AutorInnen und RedakteurInnen
transportiert und erscheinen dann aufgrund der Macht der Bilder
leicht als unumstößliche Wahrheiten. Medienspezifische Gründe
verstärken herrschende, ohnehin dominante Positionen. So wenden
sich JournalistInnen, die als solche vom wissenschaftlichen Gegenstand
im allgemeinen nicht mehr als ein Laien-Verständnis entwickeln
können, deswegen gerne an "renommierte" Adressen - dies verstärkt
deren Positionen und manifestiert sich in Interviews mit Sprechern
von (Interessens-) Verbänden oder in deren Durchsetzungsfähigkeit
bzw. in den Marketingstrategien von gut organisierten (Interessens-)
Gruppen. Kritische Einstellungen kommen kaum zu Wort oder werden
durch gestalterische Maßnahmen neutralisiert (siehe das Beipiel
oben). Aber noch entscheidender ist der Einfluß, der durch die
Auswahl der Themen auf die Medien-KonsumentInnen ausgeübt wird
- ebenfalls zumeist unmerklich. Eine entsprechende Untersuchung
der Themenkarrieren im Fernsehen, wie sie für die Atomenergiediskussion
vorliegt(13), wäre daher für die Facetten der Gentechnik-Diskussion oder auch
für gesundheits- und umweltpolitisch relevante Themen sehr wünschenswert.
Es ist zu vermuten, daß insbesondere der Gesichtspunkt der Akzeptanzbeschaffung
für möglicherweise umstrittene oder problematische Maßnahmen eine
wichtige Rolle spielt. In diesem Zusammenhang fällt auf, daß brisante
naturwissenschaftlich-technische Themen in bestimmter Weise auch
in Spielfilmproduktionen aufgenommen werden - ein auch im Printbereich
in der Unterhaltungsliteratur beobachtbares Phänomen. So basieren
der Roman und der Film "Jurassic Park" auf der erfolgreichen Isolierung
fossiler Desoxyribonukleinsäure (DNA), also einem aktuellen Forschungsgebiet,
und der kürzlich in der ARD ausgestrahlte Film "Geboren 1999"
von S. Rudolph (1992) spielt auf die Anwendung der in-vitro-Fertilisation
am Menschen und die damit verbundenen Probleme an; entsprechend
spielte in einem in Österreich 1995 ausgestrahlten Spielfilm ein
kinderloses Ehepaar die Hauptrolle, das seinen nicht erfüllten
Wunsch nach einem Kind mithilfe einer in vitro-Fertilisation anging
- erfolglos, aber mit happy end. Solche Phänomene stellen einerseits
ein Indiz dar für die Bedeutung, die eine politisch interessierte
Öffentlichkeit den entsprechenden Problemen zumißt, andererseits
wirken die Thematisierung und die dabei durch die fiktionale Gestaltung
transportierten Positionen in einer sehr problematischen Weise
auf die öffentliche Meinungsbildung ein. Denn in dem Maße, in
dem sich ein solcher Spielfilm um Authentizität bemüht, läßt er
auch die vorgetragenen Positionen selbst als authentisch erscheinen,
welche aber gleichzeitig - durch ihre tatsächliche Fiktionalität
- einer Sachkritik entzogen werden (auf die immer größer werdende
Un-Unterscheidbarkeit von Fiktion und Realität - dies ein weiteres
schwerwiegendes Problem moderner Medien und ihrer Wirkung auf
ihre KonsumentInnen - wird weiter unten eingegangen werden).
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1.d) Die Bedeutung der "alten" Medien für die modernen Naturwissenschaften
Die Bedeutung der audiovisuellen Medien für die Arbeit der NaturwissenschaftlerInnen
ist gering - um sich über die laufende Entwicklung in eigenen
Fach zu informieren, stehen Fachzeitschriften und Bücher zur Verfügung.
Aber die Bibliographie auf CD-ROM ist dabei, sich in den Bibliotheken
durchzusetzen, und elektronische Journale sind im Kommen (siehe
unten). Hinsichtlich der forschungspolitischen Rahmenbedingungen
und hinsichtlich moderner naturwissenschaftlicher Technologien,
die aus ethischen Gründen oder wegen ihrer möglichen ökologischen
und gesellschaftlichen Auswirkungen und Risiken umstritten sind,
wie die Atomenergie und die Gentechnik, kommt den Medien jedoch
keine geringe Bedeutung zu: in demokratiepolitischer Hinsicht
als Ort der öffentlichen politischen Auseinandersetzung oder auch
der Informierung und Bildung der Bevölkerung, aus der Sicht der
BetreiberInnen der umstrittenenen Technologien als Medium der
Akzeptanzbeschaffung oder Akzeptanzverweigerung, wie eingangs
erwähnt. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Kluft zwischen
Forschung und Anwendung gegen Null tendiert und größere Wirtschaftsinteressen
ins Spiel kommen. So sahen sich die VertreterInnen der gentechnischen
Industrie in der BRD dazu veranlaßt, eine breit angelegte Medienkampagne
zur Imageverbesserung zu starten: in ganzseitigen Zeitungsanzeigen
wurde für Gentechnik geworben, bei denen "die Gentechnik" als
wirtschaftlich notwendig und sicher und "der Gentechniker" als
gewissenhaft, intelligent und verantwortungsbewußt dem Publikum
präsentiert wurden.
Einige österreichische Genetik-Professoren betrachten es als eine
weitere Auswirkung Gentechnik-kritischer Berichterstattung, daß
ihre StudentInnen sich im Bekanntenkreis oder sonst in ihrer Umgebung
häufig für ihr Fach rechtfertigen müßten und dadurch ständig verunsichert
würden. Sie befürchten, der wissenschaftliche Nachwuchs könne
in weniger umstrittene Bereiche abwandern - dies geschieht auch
teilweise. Dennoch treten die wenigsten NaturwissenschaftlerInnen
von sich aus zwecks Teilnahme aktiv an die Medien heran - ihrer
informativen Bringschuld gegenüber der Öffentlichkeit werden sie
kaum gerecht.
Wie sieht die Berichterstattung in den Massenmedien wirklich aus?
Einige Untersuchungen dazu sind derzeit in Arbeit(14) und können daher hier nicht zusammengefaßt werden. Klar ist jedoch,
wie die mediale Berichterstattung wahrgenommen wird: WissenschaftlerInnen,
die maßgeblich daran beteiligt sind, gentechnische Forschungsmethoden
zu propagieren und voranzutreiben, neigen zumeist dazu, in der
Medienberichterstattung vor allem "Technikfeindlichkeit"zu sehen,
die von mangelnden Kenntnissen der fachlichen Materie geprägt
sei, und der infolgedessen durch "mehr Aufklärung" in den Medien
und in den Schulen zuleibegerückt werden müsse. Daß die durch
die Medien popularisierte Technikkritik sehr wohl auch eine Kritik
darstellt, die "von innen", aus den Naturwissenschaften selbst,
kommt, wird dabei gerne übersehen(15) - denn die Kritik von FachkollegInnen müßte ernst genommen werden,
sie kann nicht so leicht als "irrational" und als unsachlich denunziert
werden. Wenn innerhalb der Fachgemeinschaften die Diskussion aber
folgenlos bleibt oder wenn der wissenschaftlichen inneren Opposition
berufliche Schwierigkeiten gemacht werden, so bleibt dieser nichts
anderes übrig, als als Gegen-ExpertInnen - z.B. in den Medien
- an die Öffentlichkeit zu treten. Aus deren Sicht wiederum erscheint
die Medienberichterstattung oft eher als zu "industriefreundlich"
oder als zu "unkritisch".
Eine Verständigung ist nicht abzusehen. Die Interessen sind zu
unterschiedlich, und die eingetretene Polarisierung ist schwer
rückgängig zu machen: Diejenigen, die die Gentechnik vorantreiben
wollen, sehen sich in ihren Forschungsinteressen behindert, diejenigen,
die eine Technik erst dann eingeführt sehen wollen, wenn ihre
Ungefährlichkeit bewiesen ist, sehen sich durch die laufende naturwissenschaftlich-technische
Entwicklung bedroht.
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Anmerkungen
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