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Weil nicht sein kann, was nicht sein darf...
"DIE ELTERN" ODER "DER VATER" DER RELATIVITÄTSTHEORIE?
Zum Streit über den Anteil von Mileva Maric an der Entstehung der Relativitätstheorie
von Margarete Maurer
aus: in: PCnews, Nr. 48, Jg. 11, Heft 3, Wien, Juni 1996, S. 20-27.
(Das Original erschien in: Birgit Kanngießer u.a. (Hg.): Dokumentation des 18. Bundesweiten Kongresses von Frauen in Naturwissenschaft und Technik vom 28.-31.Mai 1992 in Bremen, Bremen, o.J., S. 276-295).
Eine frühere kürzere Fassung, verfaßt gemeinsam mit Petra Seibert, war erschienen in:
Wechselwirkung, Aachen, Jg. 14, Nr. 54, April 1992, S. 50-52 (Teil 1)
und in Nr. 55, Juni 1992, S. 51-53 (Teil II).
Die einen führen ihren Namen noch nicht einmal im Personenregister
ihrer wissenschaftlichen Werke zu Albert Einstein an, die anderen
vertreten die Ansicht, daß ihr ein wesentlicher Anteil - wenn
nicht sogar die Koautorinnenschaft - an den frühen Arbeiten Einsteins
zukommt, für die später (1921/22) ER mit dem Nobelpreis geehrt
wurde: der Studienkollegin und dann auch Ehefrau Albert Einsteins,
Mileva Maric. Die Art der Diskussion über diese Frage macht die
Schwierigkeiten deutlich, die einer angemessenen Rekonstruktion
der Wissenschaftsgeschichte manchmal im Wege stehen - und zwar
nicht nur deswegen, weil die Quellenlage unbefriedigend ist und
weder für die eine noch für die andere Seite absolute Beweise
liefert. Auch Vorurteile, vermeintlich angegriffene Selbstwertgefühle
und andere Emotionen können den Blick auf die Tatsachen verstellen
oder deren angemessene Interpretation verhindern. Die Kontroverse
um Mileva Maric-Einstein stellt hierfür ein charakteristisches
Beispiel dar.
Im folgenden Beitrag werden die Struktur, die Formen und Argumentationsweisen
dieses wissenschaftsgeschichtlichen Diskurses analysiert und die
mit ihnen zusammenhängenden Positionen. Wer geht wie mit den Quellen
um, und was trägt zu den so unterschiedlichen Bewertungen der
Rolle Mileva Marics und ihrer Zusammenarbeit mit Albert Einstein
bei?
Die Kontroverse wird seit Anfang 1990 in vielen Zeitungen und
Zeitschriften - von wissenschaftlichen Fachzeitschriften, wie
z.B. "The New Scientist" und "Physics Today", über die deutsche
"Zeit" und "The Washington Post" bis hin zu feministischen Organen
("Emma" und andere) - ausgetragen. Auslöser der Kontroverse in
dieser breiten Öffentlichkeit waren die Vorträge der Linguistin
und Wissenschaftsforscherin Senta Trömel-Plötz und des Physikers
Evan Harris Walker beim Jahreskongreß der American Association
for the Advancement of Science (AAAS) im Februar 1990. Beide stützten
sich einerseits auf die 1969 zuerst in serbisch, 1982 auf deutsch
erschienene einzige Monographie über Mileva Maric, verfaßt von
der Physikerin und Mathematikerin Desanka Trbuhovic-Gjuric, andererseits
auf den 1987 erschienenen und von dem Physiker John Stachel herausgegebenen
ersten Band der "Collected Papers of Albert Einstein", in dem
erstmals 77 Briefe Albert Einsteins veröffentlicht wurden, von
denen die Mehrheit, nämlich 41 Briefe, an Mileva Maric gerichtet
waren, sowie 10 Briefe von ihr an ihn; weitere, sicher vorhanden
gewesene Briefe Mileva Marics aus dieser Zeit sind bisher nicht
gefunden worden.
Für die Fachwelt warf dieser Briefwechsel nicht nur ein neues
Licht auf den Ursprung der speziellen Relativitätstheorie: die
Bedeutung des Michelson-Morley-Experimentes konnte neu diskutiert
werden (Stachel, Mai 1987, S. 45-47), und es bestätigte sich,
daß Einstein (und Maric?) bereits seit etwa 1898 daran gearbeitet
hatte(n?). Er warf auch ein neues Licht auf die Person des jungen
Albert Einstein, indem er "vorher unbekannte Details seiner Leidenschaft
für, unter anderen Dingen, Physik (enthüllt) - über seine damalige
Lektüre und insbesondere über seine Bemühungen, sich mit der Fachliteratur
(Boltzmann, Drude, Helmholtz, Hertz, Kirchhoff, Mach, Ostwald,
Planck, d.A.) vertraut zu machen. Die Korrespondenz zeichnet auch
ein Bild der Spannungen im Verhältnis Einsteins zu seinen Eltern
(sie waren gegen die Verbindung mit Mileva Maric, d.A.). Die Briefe
machen klar, daß Einstein und Maric eine Tochter hatten, noch
bevor sie heirateten." (Pyenson 1989, S. 132).
Insbesondere die Existenz dieser unehelichen Tochter, von Mileva
Maric "Lieserl" genannt, die im Januar 1902 geboren und von Albert
Einstein Zeit seines Lebens verheimlicht wurde - kratzte für manchen
Rezensenten der "Collected Papers" den Mythos Einstein erheblich
an: "Wie kann es sein, daß Einstein, dieses Mustervorbild an Redlichkeit
und Gewissen zweier Generationen, ein nicht anerkanntes Kind hatte,
von dem keine Spuren mehr übrig zu sein scheinen als diese Briefe?"
(Bernstein 1987).
Mileva Maric kam im selben Wintersemester 1896 wie Albert Einstein
an die ETH Zürich und war die fünfte Frau, die dort Physik studierte,
in ihrem Jahrgang jedoch die einzige. Sie entstammte einer wohlhabenden
Familie im heutigen Jugoslawien, damals zur österreichisch-ungarischen
Monarchie gehörend. Ihr Vater beendete einen Monat nach ihrer
Geburt (19.12.1875) seine Karriere im Militärdienst und wechselte
als Kanzlist in das Bezirksgericht Ruma, später an den Obersten
Gerichtshof in Agram, dem heutigen Zagreb. Er war gleichzeitig
Gutsbesitzer - weshalb Maric bei einigen Biographen Einsteins,
die ungenau recherchiert haben, als "Tochter eines slawischen
Bauern", "aus einer rechtschaffenen serbischen Bauernfamilie stammend"
oder als gar als "Bauernmädchen" gilt (Clark 1981, S. 40; Seelig
1954, S. 52; Wickert 1972, S. 19).
Ihr Vater hatte die besondere Begabung seiner ersten Tochter erkannt
und sie entsprechend gefördert. Nach der Volksschule in Ruma hatte
Mileva Maric 1886/87 die 1. Klasse der serbischen Höheren Mädchenschule
in Novi Sad und dann ab der 2. Klasse die Kleine Realschule in
Sremska Mitrovica nahe bei Ruma besucht (Trbuhovic-Gjuric 1983)
- eine Schule, die mit physikalischen und chemischen Laboratorien
sehr gut ausgestattet war und ihr Interesse an den exakten Wissenschaften
gefördert hatte; ihre besten Noten erhielt sie dort in Mathematik
und Physik und schloß diese Schule 1890 mit der mittleren Reife
ab (Krstic 1991). - Als hochbegabte und erfolgreiche Schülerin
erreichte sie es danach, als Privatschülerin an das Königliche
Obergymnasium in Agram zugelassen zu werden und mithilfe einer
Sondergenehmigung als einziges Mädchen am Physikunterricht dieser
Eliteschule teilnehmen zu können, der sonst nur für Jungen erlaubt
war (Trbuhovic-Gjuric 1983; Krstic 1991). Um - da Frau - weiter
studieren zu können, mußte sie jedoch ihr Heimatland bzw. die
k.u.k. Monarchie verlassen und ins Ausland gehen; sie entschied
sich für das freie Zürich - die erste Stadt im deutschsprachigen
Raum, an deren Universität Frauen zu Abschlußprüfungen zugelassen
wurden: seit 1867. An der ETH Zürich hatte sich die erste Studentin
1871 eingeschrieben, nämlich Nade?da Smeckaja aus Moskau, und
zwar für Maschinenbau (vgl. Verein feministische Wissenschaft
Schweiz 1988, S. 9 und S. 156). Wie diese ihre Vorgängerin studierte
Maric zunächst ein Semester Medizin an der Universität Zürich.
Dann fand sie den Mut (oder konnte es durchsetzen?), zu ihren
naturwissenschaftlichen Interessen zu stehen. Die strengen Aufnahmeprüfungen
an der ETH bestand sie auf Anhieb - im Gegensatz zu Albert Einstein,
der es ein Jahr vorher vergeblich versucht hatte.
Im Wintersemester 1896 immatrikulierte sich Mileva Maric an der ETH Zürich für das Studium der Mathematik und Physik. Im Physikalischen Praktikum arbeitete sie neben Albert Einstein. "Einstein [É] bewunderte ihre Unabhängigkeit. [É] sie [É] besuchte [É] die Hochschule [É] aus gänzlich eigenem Entschluß. Sie wollte Mathematiklehrerin werden und sich in der Schweiz niederlassen", schildert dies Michelmore (1968, S.36), und Krstic schreibt dazu: "Es war im ersten Jahr, daß sie sich ineinander verliebten. Mileva, die völlig der Physik ergeben war und in diesem Feld mutig eine Karriere plante, war erschrocken über die neuen Gefühle, die sie erlebte." (1991, S. 88). Sie flüchtete nach Heidelberg, obwohl sie im frauenfeindlichen Deutschland von jedem Professor einzeln eine Erlaubnis zum Besuch seiner Veranstaltungen einholen mußte - was ihr gelang. In Mathematik belegte sie Zahlentheorie bei Prof. Carl Köhler, Analytische Mechanik, Ausgewählte Kapitel der Differential- und Integralrechnung, sowie elliptische Funktionen bei Prof. Leo Königsberger, in Physik studierte sie Theoretische Physik (Wärmetheorie, Elektrodynamik) bei dem späteren Nobelpreisträger (1905) Philipp Lenard, der leider in den 30er Jahren zum Vertreter einer "Deutschen" Physik wurde (vgl. Trbuhovic-Gjuric, 4. Auflage 1984, S.49, und ETH-Archiv der wissenschaftlich-historischen Abteilung). Albert Einstein teilte sie ihren neuen Studienort brieflich mit (Maric, Dok. 36, 1897). "Sie kleine Ausreißerin!" betitelte er sie zärtlich in einem Brief (Einstein, Dok 39, 16. Februar 1898). Sie konnte Albert Einstein nicht vergessen und kehrte 1898 nach Zürich zurück - etwa zu dem Zeitpunkt, an dem sich Einstein laut eigenen Angaben mit der speziellen Relativitätstheorie zu beschäftigen begann (Shankland 1963).
Zwischen den beiden außergewöhnlichen Menschen entwickelte sich
eine intensive Zusammenarbeit, das gemeinsame (Privat-) Studium
großer physikalischer Werke und dann eine damit verwobene innige
Liebesbeziehung: Liebe und Physik wurden eins (Briefauszüge siehe
umseitigen Kasten).
Insbesondere an der folgenden Briefstelle entzündete sich die
Diskussion über die Bedeutung und Rolle Mileva Marics in dieser
Kooperation, und damit ihres Anteils an den Arbeiten, mit denen
Albert Einstein ab 1905 berühmt wurde: "Wie stolz und glücklich
werde ich sein, wenn wir beide zusammen unsere Arbeit über die
Relativbewegung siegreich zu Ende geführt haben. Wenn ich so andre
Leute sehe, da kommt mirs so recht, was an Dir ist!" (Einstein
an Maric, Dok. 94, 27. März 1901).
Einstein an Maric "Daneben hab ich auch schon hübsch was in Helmholtz studiert über atmosphärische Bewegungen - aus Angst vor Ihnen & nebenbei zum eignen Vergnügen füg ich noch gleich hinzu, daß ich die ganze Geschichte auch mit Ihnen überlesen will. ... Als ich das erste Mal in Helmholtz las, konnte ichs gar nicht begreifen, daß Sie nicht bei mir saßen & jetzt gehts mir nicht viel besser. Ich finde das Zusammenarbeiten sehr gut & heilsam & daneben weniger austrocknend." (Dok. 50, August 1899). "Wie hab ich nur früher allein leben können, Du mein kleines Alles. Ohne Dich fehlt mirs an Selbstgefühl, Arbeitslust, Lebensfreude - kurz ohne Dich ist mein Leben kein Leben." (Dok. 72, 14.? August 1900). "Zur Untersuchung des Thomsoneffekts hab ich wieder zu einer andern Methode meine Zuflucht genommen, die eine gewisse Ähnlichkeit mit der Deinen zur Bestimmung der Abh. von k nach T hat und welche eine solche Untersuchung auch voraussetzt. Wenn wir nur gleich morgen anfangen könnten!" (Dok 74, 30. August oder 6. September 1900). "Ich freu mich auch sehr auf unsere neuen Arbeiten. Du mußt jetzt Deine Untersuchung fortsetzen - wie stolz werd ich sein, wenn ich gar vielleicht ein kleines Doktorlin zum Schatz hab & selbst noch ein ganz gewöhnlicher Mensch bin!" (Dok. 75, 13.? September 1900). "Wie glücklich bin ich, daß ich in Dir eine ebenbürtige Kreatur gefunden habe, die gleich kräftig und selbständig ist wie ich selbst! Außer mit Dir bin ich mit allen allein." (Dok. 79, 3. Oktober 1900). "Wie stolz und glücklich werde ich sein, wenn wir beide zusammen unsere Arbeit über die Relativbewegung siegreich zu Ende geführt haben. Wenn ich so andre Leute sehe, da kommt mirs so recht, was an Dir ist!" (Einstein an Maric, Dok. 94, 27. März 1901). "Mein Herzensschatzerl! ... Bis Du mein liebes Weiberl bist, wollen wir recht eifrig zusammen wissenschaftlich arbeiten, daß wir keine alten Philistersleut werden, gellst." (Dok. 131, 28. Dezember 1901). |
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