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Arbeitsbereich Technik, Naturwissenschaften, Ökologie


Mathematikerinnen

von Cornelia Teller

aus: Sabine Berghan u.a. (Hg.): Wider die Natur? Frauen in Naturwissenschaft und Technik, Berlin (Elefanten Press) 1984, S. 258-261.


Wir wissen alle, welche Schwierigkeiten Frauen haben, sich in der Wissenschaft durchzusetzen. Aber wie hat es vor der Einführung des Frauenstudiums mit den Möglichkeiten der Frauen, in den Naturwissenschaften zu arbeiten, ausgesehen?

Im folgenden wollen wir die Lebensgeschichte einiger Mathematikerinnen untersuchen. Mathematikerinnen, die Bedeutendes geleistet haben, hat es zu verschiedenen Zeiten gegeben.

 

Im Altertum wurde durch die philosophischen Schulen von Platon und Pythagoras ein Klima geschaffen, in dem es zwar nur einer kleinen Elite, aber auch Frauen, möglich war, eine akademische Karriere zu durchlaufen. Der griechische Schriftsteller Athenäus (200 u. Z.) schreibt in seinem Werk »Deipnosophistai« (Gastmahl der Gelehrten) über einige Frauen, die Herausragendes in der Mathematik geleistet haben sollen. Allerdings ist die genaue Kenntnis ihrer Arbeiten verloren gegangen.

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Etwas mehr ist von Hypatia bekannt, die von ca. 370-415 u. Z. in Alexandria gelebt hat. Sie war die Tochter von Theon von Alexandria. Theon war Lehrer für Mathematik an der Schule von Alexandria, später wurde er dann auch Leiter dieser Schule. Er sorgte dafür, daß sie eine umfassende Ausbildung erhielt. Sie verbrachte längere Zeit zu Studienzwecken im Ausland. Auch war sie als Studentin an der von Plutarch dem Jüngeren und seiner Tochter Asclepigenia geleiteten Schule in Athen. Dort machte sie sich bereits einen Namen als Mathematikerin. Nach ihrer Rückkehr wurde sie Lehrerin für Mathematik und Philosophie an der Schule von Alexandria. Sie wurde in Alexandria sehr bekannt. Ihre Werke stellen im wesentlichen Kommentare und Auslegungen antiker Mathematiker dar. Zusammen mit ihrem Vater schreibe sie eine überarbeitete und verbesserte Version von Euklids »Elemente«. Sie setzte sich mit Arbeiten von Diophanthos, Apollonius und dem »Almagest« von Ptolemäus in weiteren Werken auseinander. Die meisten ihrer Veröffentlichungen waren als Lehrbücher für ihre Schüler vorgesehen. Es werden ihr außerdem eine Reihe von Erfindungen zugeschrieben. Darüber hinaus machte sie sich einen Namen als Philosophin. Um 400 u. Z. wurde sie Leiterin der neoplatonischen Schule in Alexandria. Die Christen empfanden die philosophischen und wissenschaftlichen Einrichtungen als Gefahr, deshalb begann der Patriarch von Alexandria, Cyril, eine systematische Kampagne gegen diese Einrichtungen. Er hetzte Teile der Bevölkerung gegen die »Heiden« auf. Ein Höhepunkt wurde erreicht, als Hypatia 415 u.Z. von Fanatiker umgebracht wurde. Hypatia steht im Mittelpunkt von romantischen Geschichten und Legenden, so schrieb Charles Kingsley 1853 einen Roman über sie.

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Erst in der Renaissance in Italien war es dann möglich, daß Frauen promovieren konnten. Einige von ihnen lehrten an den Universitäten von Bologna und Padua. In ihrer Tradition stand Maria Agnesi, die 1718 in Mailand geboren wurde. Sie war, ebenso wie Hypatia, die Tochter eines Mathematikprofessors. Er lehrte an der Universität von Bologna. Ihre Eltern planten die Erziehung von Maria, die als ein Wunderkind galt, sehr sorgfältig. Maria sprach schon mit fünf Jahren Französisch. Bereits mit neuen Jahren konnte sie Latein, Griechisch, Hebräisch und einige moderne Sprachen. Etwa in diesem Alter schrieb sie eine Abhandlung in Lateinisch, die eine umfassende Bildung von Frauen verteidigte. In ihrer Jugendzeit war sie mit privaten Studien beschäftigt. Sie unterrichtete außerdem ihre jüngeren Brüder (sie war die älteste von 21 Geschwistern). Das Haus ihrer Eltern war ein beliebter Treffpunkt von Intellektuellen.

Maria beschäftigte sich schon frühzeitig mit der Mathematik, die von Newton, Leibniz, Fermat, Descartes, Euler und den Brüdern Bernoulli geprägt worden war. 1738 veröffentlichte sie ihre »Propositiones philosophicae«, eine Sammlung von Essays über Naturwissenschaften und Philosophie, die auf Diskussionen bei den Treffen in ihrem Elternhaus basierten. Sie befürwortete darin wieder die Notwendigkeit einer umfassenden Bildung von Frauen. Ihr bedeutendstes Werk ist aber eine Abhandlung über Differential- und Integralrechnung, zu deren Abfassung sie zehn Jahre brauchte. Sie faßte darin die Arbeiten verschiedener Mathematiker zusammen, bis hin zur Differentialrechnung, wie sie von Newton und Leibniz ausgearbeitet wurde. Die Französische Akademie der Wissenschaften sprach sich zwar lobend über dieses Werk aus, sie berief aber keine Frauen zu ihren Mitgliedern. Die italienischen Akademien dagegen waren liberaler. So wurde Maria in die Akademie der Wissenschaften in Bologna berufen. Maria Theresia und Papst Benedikt XIV. sprachen anerkennend über ihre Arbeiten. Mit Unterstützung des Papstes wurde Maria Agnesi ehrenamtliche Lehrerin für Mathematik an der Universität von Bologna. Maria Theresia machte ihr aus Anerkennung für ihre wissenschaftlichen Leistungen wertvolle Geschenke. Trotz ihrer großen wissenschaftlichen Erfolge verzichtete sie später auf die weitere Beschäftigung mit der Mathematik. Sie widmete ihr weiteres Leben den Kranken und Armen in ihrer Umgebung. Maria Agnesi starb am 9. Januar 1799.In Frankreich gab es lange Zeit nur wenige Möglichkeiten für Frauen, etwas Bildung zu erwerben. Unter Ludwig XIV. wurde des »Institut de Saint Cyr« eröffnet, die erste staatliche Schule für Mädchen in Frankreich. Es wurden dort aber nur die grundlegendsten Dinge vermittelt. Ziel der Schule war die Vorbereitung der zukünftigen Ehefrauen von Adeligen. So versteht es sich von selbst, daß an dieser Schule Mathematik und Naturwissenschaften keinen Platz hatten.

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Es gab in Frankreich zu dieser Zeit nur sehr wenige Frauen, die wissenschaftlich tätig waren. Eine von ihnen war Emilie de Breuteuil, Marquise du Châtelet. Sie wurde 1706 in Paris geboren. Ihr Vater, Baron de Breuteuil, war Protokollchef am Hof. Emilie erhielt eine für die damaligen Verhältnisse gute Ausbildung, da ihr Vater überzeugt war, daß sie außergewöhnliche Fähigkeiten besaß. Sie war sehr sprachbegabt. So lernte sie schnell Latein, Italienisch und Englisch. Verschiedene Autoren las sie im Original, einige Werke übersetzte sie ins Französische. Ihr besonderes Interesse galt aber der Mathematik. Bei ihren mathematischen Studien wurde sie von einem Freund der Familie unterstützt.

Mit neunzehn Jahren heiratete sie den vierunddreißigjährigen Marquis du Châtelet, der Oberst eines Regimentes war. Emilie war durchaus dem gesellschaftlichen Leben zugetan. Sie war für ihre Liebesaffären bekannt, von denen ihre Liaison mit Voltaire am berühmtesten wurde.

1738 schrieb die Französische Akademie der Wissenschaften einen Wettbewerb für die beste Abhandlung über die Natur des Feuers aus. Emilie entschloß sich einen Monat vor Ende der Ausschreibungsfrist, daran teilzunehmen. Voltaire arbeitete schon länger an diesem Problem. Emilie begann erst mit eigenen Untersuchungen, nachdem sie mit einigen Punkten in Voltaires Arbeit nicht einverstanden war. Ihre Teilnahme hielt sie vor Voltaire geheim. Sie arbeitete die Nächte durch, schlief oft nur eine Stunde am Tag. Indem sie ihre Hände in Eiswasser tauchte, hielt sie sich wach. Emilies Arbeit nahm die Resultate späterer experimenteller Forschung schon vorweg. Trotzdem gewannen weder sie noch Voltaire den Preis, aber die Akademie war von beiden Arbeiten so beeindruckt, daß sie die Arbeiten veröffentlichte.

1740 erschien Emilies Buch »Institutions de Physique«. Dieses Buch war ursprünglich als Einführung in die Physik für ihren Sohn gedacht. Tatsächlich wurde es aber ein zusammenfassendes Werk über die Physik mit Einführungen, Definitionen, historischen Entwicklungen von Konzepten und Denkmethoden über physikalische Phänomene. Zusätzlich enthält es eine Reihe metaphysischer Prinzipien.

Emilie arbeitete sehr viel, beteiligte sich aber auch an gesellschaftlichen Ereignissen. Dieses Hin und Her zwischen gesellschaftlichen Verpflichtungen und wissenschaftlicher Arbeit führte dazu, daß sie oft nur zwei bis drei Stunden pro Nacht schlief.

Emilie übersetzte Newton ins Französische und fügte diesem Werk noch einige Anmerkungen hinzu. Bis dahin war Newton in Frankreich relativ unbekannt, das System von Descartes stand immer noch im Mittelpunkt. Louis de Maupertuis, einer der führenden Mathematiker dieser Zeit, und Voltaire versuchten nun Newton auch in Frankreich durchzusetzen. Die Hemmnisse dabei waren ein starker Nationalismus in Frankreich, aber auch, daß Newtons Abhandlungen schwer zu verstehen waren. Emilies Übersetzung schaffte nun die Grundlage für die Durchsetzung der Ideen Newtons in Frankreich.

1749 gibt Emilie einen großen Teil ihrer gesellschaftlichen Verpflichtungen auf, um ihr Buch über Newton zu beenden. Anfang September wird ihre Tochter geboren (sie ist ihr viertes Kind). Unmittelbar bis zur Geburt ist sie mit dem Buch beschäftigt. Wenige Tage später, am 10. September 1749, stirbt Emilie du Châtelet plötzlich, wahrscheinlich an den Folgen dieser Geburt.

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Nur knapp 30 Jahre nach Emilies Tod wurde Sophie Germain (am 1. April 1776) geboren. Ihr Vater Ambroise Francois Germain war ein relativ wohlhabender Seidenkaufmann. Als junges Mädchen verbrachte sie sehr viel Zeit in der umfangreichen Bibliothek ihres Vaters. Besonders zwei Bücher fanden ihre Aufmerksamkeit: ein Mathematiklehrbuch und »Histoire des MathÈmatiques« von Montucla. In letzterem fand sie die Legende von Archimedes' Tod. Er soll vertieft in ein geometrisches Problem von einem römischen Soldaten erschlagen worden sein. Sie war so beeindruckt davon, daß sie sich unbedingt weiter mit Geometrie beschäftigen wollte. Ihre Familie versuchte, sie davon abzuhalten. So wird erzählt, daß Sophie kein Licht mehr für ihr Schlafzimmer bekam, ihr Schlafzimmer wurde nicht mehr geheizt, ihre Kleidung, wenn sie zu Bett gegangen war, wurde ihr weggenommen. Ihre Eltern wollten sie so zum Schlafen zwingen. Aber Sophie hüllte sich in Decken, benutzte versteckte Kerzen, und so arbeitete sie jede Nacht mit ihren Büchern aus der Bibliothek ihres Vaters. Eines Morgens fanden ihre Eltern sie schlafend, die Tinte war im Tintenfaß gefroren, ihre Schiefertafel war voller Berechnungen. Danach gaben ihre Eltern den Widerstand auf.

1795 nahm die ?cole Polytechnique in Paris ihre Arbeit auf. Allerdings waren Frauen dort nicht zugelassen. Sophie hatte aber die Möglichkeit, die Vorlesungsnotizen von verschiedenen Professoren zu sammeln. Sie interessierte sich vor allem für die Chemie- und die Analysisvorlesungen, die von J.L. Lagrange gehalten wurden. Infolge der durch die Französische Revolution hervorgerufenen gesellschaftlichen Veränderungen wurde an der Schule eine Neuerung eingeführt: Die Studenten konnten ihre eigenen Beobachtungen und Gedanken dem Professor am Ende eines Kurses schriftlich darlegen. Unter dem Pseudonym Auguste Antoine Le Blanc (es war der Name eines tatsächlich an der Schule studierenden Studenten) teilte Sophie Lagrange ihre eigenen Ideen zu seinen Vorlesungen mit. Lagrange war von ihrer Arbeit sehr beeindruckt. Nachdem er ihre wahre Identität erfahren hatte, suchte er sie auf und pries sie als großes Talent. Dadurch bekam sie endlich die moralische Unterstützung, die ihre von der Familie versagt worden war.

1804 schrieb Sophie, wiederum unter dem Pseudonym Le Blanc, an Gauß, den bedeutendsten Mathematiker ihrer Zeit. Sie teilte ihm ihre Überlegungen zu seinem Werk »Disquisitiones arithmeticae« (Arithmetische Abhandlungen) mit. Diese Werk von Gauß stellte die erste zusammenfassende Abhandlung über Zahlentheorie dar, es war aber für seine Zeitgenossen nur schwer verständlich. Gauß war beeindruckt von Sophies Überlegungen. Beide begannen eine ausgedehnte Korrespondenz. Ihre wahre Identität entdeckte Gauß aber erst 1807. Als Napoleons Armeen Preußen besetzten, machte Sophie sich Sorgen um des Schicksal von Gauß. So erkundigte sich ein französischer General in ihrem Namen nach seinem Befinden. Gauß konnte natürlich nichts mit ihrem Namen anfangen. Erst durch einen Briefwechsel wurde alles aufgeklärt. Gauß setzte den für sie sehr wichtigen Briefwechsel fort. Trotz ihrer umfangreichen Korrespondenz trafen sich die beiden nie.

Die Französische Akademie der Wissenschaften schrieb einen Preis für das beste Essay über die mathematischen Gesetzmäßigkeiten von Vibrationen elastischer Oberflächen aus. Der Physiker Chladni bestreute elastische Platten mit feinem Pulver, brachte sie zum Schwingen und notierte die dabei entstandenen Figuren. Diese Experimente waren Ausgangspunkt für den Wettbewerb.

1811 reichte Sophie der Akademie dann eine anonyme Abhandlung ein. Ihr Herangehen wies relativ viele Mängel auf, so daß die Arbeit nicht ausgezeichnet wurde. 1813 erhielt eine weitere Arbeit Sophies zu diesem Thema eine lobende Erwähnung der Jury. Anläßlich einer erneuten Ausschreibung des Wettbewerbes bekam ihre »Denkschrift über die Vibration elastischer Flächen« 1816 den Preis, obwohl ihre Arbeit immer noch eine Reihe von Schwäche aufwies. Durch den Gewinn des Preises gelangte Sophie in die Kreise der berühmtesten Mathematiker ihres Landes. Sie wurde in einer öffentlichen Versammlung des »Institut de France« gefeiert. Gleichzeitig wurde ihre erlaubt, an den Sitzungen des Instituts teilzunehmen. Das war die höchste Ehrung, die dieses Institut jemals einer Frau zuteil werden ließ.

Neben dieser Arbeit hat Sophie noch weitere zur Theorie der Elastizität veröffentlicht. Am bekanntesten sind allerdings Sophies zahlentheoretische Arbeiten. Daneben beschäftigte sie sich noch mit Philosophie, Chemie, Physik, Geographie und Geschichte.

Gauß veranlaßte die Universität Göttingen, Sophie die Ehrendoktorwürde zu verleihen. Sie starb allerdings (am 26. Juni 1831), bevor sie diese Würde entgegennehmen konnte.

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Zu fast derselben Zeit wie Sophie Germain in Frankreich lebte in Großbritannien Mary Fairfax Somerville, die 1780 in Schottland geboren wurde. Ihr Vater, Sir William Fairfax, war Vizeadmiral der britischen Marine. Erziehung war sehr unvollkommen und unsystematisch. In ihrer Kindheit lernte sie zwar die Bibel lesen, ansonsten hatte sie aber sehr viel Freiheit. Das führte dazu, daß sie mit zehn Jahren kaum lesen konnte. Ihr Vater, der immer längere Zeit unterwegs war, schickte sie auf eine Mädchenschule. Mary war dort sehr unglücklich, weil strenge Disziplin und viel Härte herrschten, dafür aber nur wenig vermittelt wurde. Nach einem Jahr kehrte sie nach Hause zurück, ohne viel gelernt zu haben. Daraufhin wurde sie auf eine Schule geschickt, wo sie nähen und sticken lernen sollte. Da sie sich langweilte, begann sie, sich selbst Latein beizubringen. Mit dreizehn Jahren begegnete ihr ein Onkel, Dr. Somerville, der ihr half, Vergil zu lesen. Er war zwar ein guter Lehrer, aber es gab zwischen ihnen immer wieder Auseinandersetzungen über politische und soziale Fragen. Ihr Onkel war sehr konservativ, während Mary wesentlich liberalere Ansichten hatte.

Ein Umzug der Familie nach London ermöglichte es Mary, ihre Bildung zu vervollkommnen. Sie beschäftigte sich mit Arithmetik, schrieb, spielte Klavier und vervollständigte ihre Lateinkenntnisse. Durch die Rückkehr der Familie aufs Land wurde diese Entwicklung wieder unterbrochen. Ihre Familie ging auch nicht auf ihre Forderung nach einer ihren Neigungen entsprechenden Ausbildung ein.

Zufällig stieß Mary beim Blättern in einem Modejournal auf algebraische Zeichen, die sie faszinierten, mit denen sie aber nichts anfangen konnte. In der Bibliothek ihrer Eltern fand sich kein Buch, das ihre Fragen zur Algebra beantworten konnte. Inzwischen war sie auf eine Akademie geschickt worden, um zeichnen zu lernen. Dort hörte sie zufällig, wie der Rektor einem Schüler riet, die »Elemente der Geometrie« von Euklid zu studieren, um besser die Grundlagen des perspektivischen Zeichnens zu verstehen. Mary hatte nun das Problem, zwar ein Buch zu wissen, das ihr Einblick in grundlegende Fragen der Mathematik hätte vermitteln können, aber sie stand vor der Schwierigkeit, sich das Buch zu besorgen. Damals war es völlig undenkbar, daß eine junge Frau in einen Buchladen ging, um ein mathematisches Buch zu erstehen. Wahrscheinlich bekam sie das Buch von dem Lehrer ihres Bruders, der eines Tages zufällig ihr mathematisches Interesse und ihre Fähigkeiten entdeckte. Dieser Lehrer besaß zwar auch nur unvollkommene Mathematikkenntnisse, aber mit seiner Unterstützung konnte sie sich selbst weiter mit mathematischen Problemen beschäftigen. Um diese Studien einzuschränken, wies ihre Mutter die Diener an, ihr die Kerzen wegzunehmen, damit sie nachts nicht weiter arbeiten konnte. Erst durch die Heirat mit ihrem Cousin Samuel Greig 1804 bekam sie etwas mehr Freiheit für ihre Studien, obwohl ihr Mann dafür auch kein Verständnis aufbrachte.

Nach dem Tode ihres Mannes 1807 war sie zum ersten Mal finanziell unabhängig und begann nun mit ernsthaften mathematischen und astronomischen Studien, vor allem ging es ihr darum, grundlegende mathematische Kenntnisse zu erwerben. 1812 heiratete sie einen anderen Cousin, William Somerville, der ihre Arbeit unterstützte. In den ersten Jahren ihrer Ehe wohnten sie in London und Schottland. Der Aufenthalt in London ermöglichte Mary ein erheblich besseres Fortkommen in ihren Studien, zumal sie durch ihren Mann in einen Kreis führender Intellektueller eingeführt worden war.

1826 legte Mary der Royal Society eine Arbeit mit dem Titel »Die magnetischen Eigenschaften der violetten Strahlen des Sonnenspektrums« vor. Bei dieser Arbeit machte sich noch die mangelhafte Ausbildung bemerkbar. Trotz ihrer Mängel erregte die Arbeit aber Aufmerksamkeit und wurde gelobt.

Wegen einer Krankheit ihres Mannes gingen sie 1844 nach Paris und verbrachten die meiste Zeit bis zu einem Tod auf dem Kontinent. Seit den Arbeiten Newtons hatte sich England der Entwicklung der Mathematik auf dem Kontinent verschlossen. Es gab nun Leute, die diese Isolierung durchbrechen wollten. Deshalb wurde Mary überredet, populäre Ausgaben von Laplaces »MÈcanique celeste« und Newtons »Principia« vorzubereiten. Sie akzeptierte diesen Vorschlag unter der Bedingung: Falls sie es nicht zufriedenstellend schaffte, sollte das Manuskript vernichtet werden. Außerdem sollte ihr Vorhaben erst geheim bleiben. Zu dieser Zeit war sie fast 50 Jahre alt und Mutter von drei Töchtern.

Das fertige Buch enthielt neben Erläuterungen von Laplaces Arbeiten auch eigene Ausführungen und Gedanken. Mary nannte das Buch »Die Mechanismen des Himmels«. Es war eine generelle Darstellung der mechanischen Prinzipien des Universums, der Theorien der Planeten und Monde und anderer damit in Beziehung stehender Probleme. Es war so geschrieben, daß es auch Menschen mit geringen Vorkenntnissen verstehen konnten. Nach dieser Veröffentlichung erreichte sie eine Fülle von Ehrungen und Anerkennungen. 1834 veröffentlichte sie als nächstes »The Connections of the Physical Sciences«. Diese Arbeit stellt eine Zusammenfassung des damaligen Standes der physikalischen Forschung dar. Weiterhin schreibe sie »Physical Geography« und eine Anzahl von Monographien über mathematische Probleme. In erster Linie war sie Mathematikerin, beschäftigte sich aber auch intensiv mit den Anwendungsmöglichkeiten der Mathematik.

1869, mit 89 Jahren, veröffentlichte Mary Somerville eine Zusammenfassung der neuesten Entdeckungen in Chemie und Physik: »On Molecular and Microscopic Science«. Sie schrieb noch weitere Abhandlungen, die z.T. jedoch nicht veröffentlicht wurden. Ihr Buch »Physical Geography« war das erste englischsprachige Werk auf diesem Gebiet. Einige ihrer Bücher erreichten eine große Popularität.

Mary Somerville wurde vielfach geehrt. 1812 bekam sie eine Silbermedaille für die Lösung eines Problems aus der Diophanthschen Algebra. 1869 wurde ihr die Victoria-Goldmedaille der Königlichen Geographischen Gesellschaft verliehen. Eine ähnliche Auszeichnung bekam sie von der Italienischen Geographischen Gesellschaft. Eines der Frauencolleges in Oxford ist nach Mary Somerville benannt. Es war ihr ausgesprochener Wunsch, daß Frauen mehr Bildungsmöglichkeiten eröffnet werden sollten. Im Vorwort zu »The Connections of the Pysical Sciences« schrieb sie deshalb, daß es das Ziel ihrer Arbeit sei, dem Frauen ihre Landes die Gesetze, die in der materiellen Welt gelten, näherzubringen. 1872 starb Mary Fairfax Somerville.

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Karoline Herschel wurde 1750 in Hannover geboren. Ihr Vater, Isaak Herschel, war Musiker in der Hannoverschen Garde. Er förderte die Entwicklung der musikalischen Talente Karolines. Eine umfassende Ausbildung erhielt Karoline aber nicht. Neben dem Violinenspiel lernte sie zwar lesen und schreiben, aber nur wenig rechnen. Nach dem Tode ihres Vaters 1767 versuchte Karoline, sich auf eigene Füße zu stellen. Ihr Wunsch war es, Erzieherin zu werden, was aber von ihrer Mutter verhindert wurde. Ihr elf Jahre älterer Bruder Wilhelm, der inzwischen nach England gegangen war und dort seine musikalische Ausbildung vervollkommnete und sich gleichzeitig mit Astronomie beschäftigte, brauchte jemanden, der ihm den Haushalt führte. Daher fragte er Karoline, ob sie nicht zu ihm kommen wollte. Ihre Mutter ließ sie aber erst gehen, nachdem er versprochen hatte, regelmäßig Geld zu schicken, damit sie eine bezahlte Haushaltshilfe einstellen konnte.

1772 ging Karoline nach England zu ihrem Bruder. In den nächsten Jahren lernte sie Englisch, beschäftigte sich mit Rechnungswesen und arbeitete weiter an ihrer musikalischen Ausbildung. In kleinerem Kreis gab sich auch Konzerte. In der knappen Freizeit diskutierte sie mit ihrem Bruder astronomische Probleme. Obwohl Karoline in der Gesellschaft immer mehr Erfolg mit ihren musikalischen Darbietungen hatte, wurde ihre Karriere zugunsten der astronomischen Studien Wilhelms zurückgestellt. Karoline und ihr Bruder Alexander kopierten Kataloge, Tafeln und Papiere, die für Wilhelms Studien notwendig waren. Außerdem schliffen und polierten die beiden Spiegel für Wilhelms selbstgebaute Instrumente. 1781 entdeckte Wilhelm den Uranus. Da Wilhelm in Wissenschaftlerkreisen immer bekannter wurde, konnten die Geschwister Herschel allmählich ihre musikalischen Aufführungen, mit denen sie einen Teil ihres Lebensunterhaltes bestritten hatten, aufgeben. Wilhelm wurde in die Royal Society und bei Hofe eingeführt. König George III. wurde sein Gönner und ernannte ihn zum Hofastronomen. Fünf Jahre später wurde Karoline zu Wilhelms Assistentin ernannt und bekam dafür 50 Pfund jährlich. Sie war damit die erste Frau, die eine entsprechende Stelle erhalten hatte. Allerdings bekam sonst kein Angestellter in einer vergleichbaren Position so wenig Geld (das Gehalt ihres Bruders betrug 200 Pfund).

Karolines Bestreben war, ihren Bruder so gut wie möglich zu unterstützen. So sammelte sie systematisch alle zugänglichen Informationen und bildete sich ständig weiter. Sie führte mühsame Berechnungen aus, schrieb Protokolle und nahm ihrem Bruder alle sonstigen langweiligen und zeitraubenden Beschäftigungen ab, die seine kostbare Zeit in Anspruch nahmen. Um ein möglichst umfassendes Bild zu bekommen, suchte Karoline nächtelang den Himmel systematisch ab. Sie entdeckte allein im Jahr 1783 vierzehn Nebel und zwischen 1789 und 1797 acht Kometen. Darüber hinaus erstellte sie Kataloge und Berechnungen über 2500 Nebel, die auf früheren Beobachtungen basierten. Flamsteeds »British Catalogue« (in dem ca. 3000 Sterne aufgelistet waren) teilte sie so ein, daß ein systematisches Absuchen des Himmels möglich wurde.

Nach Wilhelms Tod (1822) verließ Karoline England und ging wieder nach Hannover zurück. Sie war nun finanziell unabhängig, da sie eine kleine Pension und ein Legat von Wilhelm für Verfügung hatte. 1825 stellte sie der Königlichen Akademie in Göttingen die Arbeiten von Flamsteed vor. Zu seinem Katalog fügte sie eigene Anmerkungen hinzu. Sie brachte außerdem einige Bücher ihres Bruders heraus. 1828 vervollständigte sie die Katalogisierung der 1500 Nebel und der vielen Sternhaufen, die von den Herschels entdeckt worden waren. Dafür bekam sie die Goldmedaille der Royal Astronomical Society. Im Alter von 85 Jahren wurde sie zum Ehrenmitglied der Royal Astronomical Society gewählt. Eine ähnliche Ehrung wurde ihr auch von der Royal Irish Academie zuteil. Zu ihrem 90. Geburtstag verlieh ihr der König von Preußen die goldene Medaille für Wissenschaften. Karoline Herschel starb 1848.

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Sonja Kowalewska wurde 1850 in Moskau geboren. Ihr Vater war General in der russischen Armee. Sie wuchs in einer autoritären und patriarchalischen Umgebung auf. Als Sonja ungefähr sechs Jahre alt war, ging ihr Vater in Pension, und die Familie ließ sich auf ihrem Landsitz in einem entlegenen Teil Rußlands nahe der litauischen Grenze nieder. Sonja zeichnete sich bereits in ihrer Kindheit durch einen starken Willen aus. In ihrer Familie gab es eine mathematische Tradition: Ihr Großvater war ein sehr guter Mathematiker und Leiter des Topographischen Corps der Infanterie der russischen Armee. Sein Vater war ebenfalls ein bekannter Mathematiker und Astronom. Sonjas Onkel Pjotr interessierte sich auch für Mathematik, aber es war mehr ein Hobby für ihn. Er förderte Sonjas Interesse für Mathematik. Erst Begegnungen mit der Mathematik hatte Sonja bereits in ihrer Kindheit, weil die Wände eines Zimmers in ihrem Haus mit den Seiten es Buches mit Vorlesungen eines russischen Mathematikers über Differentiale und Integrale beklebt waren. Diese Seiten dienten als Makulatur. Die Tapeten, die darauf geklebt werden sollten, konnten nicht so schnell aus Moskau beschafft werden. Sonja war von diesen mit Symbolen vollgeschriebenen Seiten sehr fasziniert. Als sie später anfing, sich systematisch mit Mathematik zu beschäftigen, war ihr Lehrer erstaunt, wie selbstverständlich sie mit diesen mathematischen Symbolen umging.

Sonja besaß nicht nur ein mathematisches, sondern auch ein literarisches Talent. Während eines Winterurlaubes in St. Petersburg durfte sie zwar am mathematischen Unterricht teilnehmen, aber eine umfassende Ausbildung oder gar ein Studium erlaubte ihr der Vater nicht. Darüber hinaus waren russische Universitäten für Frauen verschlossen. Es kam aber sowieso nur ein Studium im Ausland in Frage. Aber es galt als unschicklich für Frauen, alleine ins Ausland zu reisen und im Ausland alleine zu leben. So schlossen viele junge russische Frauen Scheinehen, die es ihnen möglich machten, im Ausland zu studieren. Trotz des massiven Widerstandes der Eltern ging Sonja 1868 solch eine Scheinehe mit Wladimir Kowalewksy, einem Studenten der Geologie, ein.

Ein halbes Jahr nach der Hochzeit siedelte das Paar nach Heidelberg über, wo Sonja vor allem Mathematik und Physik hörte. Sie fiel dort bald durch ihre ungewöhnlichen Fähigkeiten auf. Nach zwei Jahren ging sie nach Berlin, mit der Absicht, bei Karl Weierstraß, der sich mit Untersuchungen von Differentialgleichungen einen Namen gemacht hatte, weiter zu studieren. Ihr Mann setzte seine Studien in Jena und München fort. Diese Trennung war nicht zuletzt auf Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden zurückzuführen.

Nach ihrer Übersiedelung nach Berlin mußte Sonja feststellen, daß an der Berliner Universität Frauen nicht studieren durften. Deshalb wandte sie sich direkt an Weierstraß. Er überzeugte sich von ihren ungewöhnlichen Fähigkeiten und gab ihr, obwohl er ein überzeugter Gegner des Frauenstudiums war, Privatstunden. Dazu machte er ihr seine Vorlesungsaufzeichnungen zugänglich. Sonja spezialisierte sich allmählich auf die Verfahren und Probleme, die Weierstraß bearbeitete. Bald trat sie mit eigenen Arbeiten an die ÷ffentlichkeit. 1874 promovierte sie in Göttingen mit einer Arbeit über partielle Differentialgleichungen. Von der mündlichen Prüfung wurde sie auf Grund eines Antrages befreit. Ihren Antrag begründete sie damit, daß die Situation, ihr unbekannten Männern Rede und Antwort stehen zu müssen, auf sie peinlich und verwirrend wirken würde. Darüber hinaus wies sie darauf hin, daß sie sich in der deutschen Sprache mündlich nur unvollkommen ausdrücken könne.

Nach der Promotion kehrte Sonja nach Rußland zurück. Weierstraß hatte sich zwar bemüht, ihr eine Stellung zu besorgen, war aber an den konservativen Vorstellungen der akademischen Kreise gescheitert. Sonjas Mann war inzwischen Professor in Moskau geworden. Sonja betätigte sich nun vor allem literarisch. 1878 wurde ihre Tochter geboren. Ihr Mann hatte sich in Spekulationen und dunkle Geschäfte verstrickt, was zu einem weiteren Auseinanderleben der beiden führte. Um sich und ihre Tochter unterhalten zu können, sah Sonja sich nach einer Anstellung um.

Die relativ lange Abstinenz von der Mathematik hatte ihre Folgen hinterlassen. Sonja war nicht sicher, inwieweit sie sich wieder einarbeiten würde. Sie ging deshalb wieder nach Berlin. Dort begann sie mit Arbeiten über die Brechung von Licht in kristallinen Medien. Allerdings war sie zu längeren Pausen genötigt, die durch den Selbstmord ihres Mannes und durch Krankheit ausgelöst wurden. Erst eine Dozentur, die sie 1883 durch die Bemühungen eines ehemaligen Schülers von Weierstraß, Gösta Mittag-Leffler, erhalten hatte, brachte wieder neuen Aufschwung. Mittag-Leffler versuchte für Sonja in Schweden eine offizielle Anstellung zu erreichen, aber scheiterte, trotz der für die damalige Zeit sehr liberalen Einstellung in Stockholm, an den konservativen Kräften in der Universität.

1888 beteiligte sich Sonja an dem Prix Bordin der Französischen Akademie der Wissenschaften mit der Arbeit »Über die Rotation eines schweren Körpers um einen festen Punkt«. Sie gewann diesen Preis. 1889 erhielt sie in Stockholm dann endlich eine Professur. Die Stockholmer Akademie ehrte Sonja mit einem Preis von 1500 Kronen für zwei weitere Arbeiten über das Problem der Rotation eines schweren Körpers um einen festen Punkt. 1890 wurde sie als erste Frau zum korrespondierenden Mitglied der Petersburger Akademie der Wissenschaften ernannt. Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit betätigte sie sich auch weiterhin literarisch. 1891 starb Sonja Kowalewska an den Folgen einer Erkältung, die sie sich auf einer Reise zugezogen hatte.

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Die letzte Mathematikerin, mit der wir uns in dieser kurzen Darstellung beschäftigen wollen, ist Emmy Noether. Sie wurde 1882 in Erlangen geboren. Ihr Vater war Professor für Mathematik in Erlangen. Emmy durchlief die in dieser Zeit typische Ausbildung für Mädchen. Sie absolvierte die städtische Höhere Töchterschule, die fast ausschließlich sprachlich und hauswirtschaftlich ausgerichtet war. 1900 legte sie dann die Staatsprüfung für eine Lehrerin in Französisch und Englisch ab. Offensichtlich wirkte sich aber die Atmosphäre ihres Elternhauses prägend auf Emmy aus. Sie entschloß sich zu einem Universitätsstudium. Dazu mußte sie aber erst einmal 1903 das Abitur ablegen. Anschließend studierte sie in Erlangen Mathematik (sie war die einzige Studentin der Naturwissenschaften in Erlangen). Emmy promovierte bei Paul Gordon über Invariantentheorie.

Nach ihrer Promotion beschäftigte sie sich stärker mit dem Herausarbeiten abstrakter algebraischer Strukturen. 1915 siedelte sie nach Göttingen über, einem der Zentren der mathematischen Forschung der damaligen Zeit. Obwohl Emmy eine Reihe hervorragender Arbeiten herausgebracht hatte, wurde ihr die Habilitation auf Grund der Habilitationsordnung verweigert, die ausdrücklich nur Männer zuließ. David Hilbert, bei dem Emmy arbeitete, soll Gegnern der Habilitation »mmys gesagt haben, daß er nicht verstünde, warum Frauen die Lehrbefugnis verweigert werden sollte. Schließlich befänden sie sich ja an einer Universität und nicht in einer Badeanstalt. Emmy hielt zwar trotzdem Vorlesungen und Seminare ab, sie wurden aber unter Hilberts Namen angekündigt. Erst nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches 1919 konnte Emmy sich habilitieren.

1922 wurde Emmy zur nichtbeamteten außerordentlichen Professorin ernannt, jedoch ausdrücklich ohne Besoldung und ohne ?nderung ihre rechtlichen Status. 1923 bekam sie dann zwar einen Lehrauftrag für Algebra (mit einer geringen Bezahlung), aber ein Ruf auf eine ordentliche Professur wurde ihr in Deutschland verweigert. In Göttingen veröffentlichte Emmy eine Reihe von Arbeiten, die die Algebra völlig neu gestalteten. Sie hatte auch eine Reihe von Schülern aus aller Welt. Trotz zunehmender Bekanntheit (insgesamt erschienen 37 Publikationen von ihr) konnte sie ihre berufliche Stellung in Göttingen nicht verbessern. Sie erhielt aber zwei Gastprofessuren; 1928/29 in Moskau und 1930 in Frankfurt/Main.

Auf Grund ihres politischen Engagements (sie war zeitweise Mitglied der SPD und eine engagierte Pazifistin) und ihrer jüdischen Herkunft entzogen ihr die Faschisten die Lehrbefugnis. 1933 übernahm sie eine Gastprofessur an einer Frauenhochschule in den USA, dem Bryn-Mawr-College. Sie hielt außerdem Vorlesungen an dem nahegelegenen Institute for Advanced Studies in Princeton. Dort bekam sie endlich die Anerkennung, die ihr in Deutschland versagt blieb. Am 14. April 1935 verstarb Emmy völlig überraschend an den Folgen einer Operation.

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Wenn wir uns nun die Lebensläufe der verschiedenen Frauen ansehen, fällt erst einmal auf, daß sie alle aus Akademiker-, Adels- oder anderen privilegierten Familien stammen. Das ist nicht so verwunderlich, weil auch bei Männern Bildung meist den wenigen vorbehalten war, die aus den gleichen Schichten stammten. Trotzdem ist es erstaunlich, daß es Frauen gelungen ist, unter den gegebenen Verhältnissen zu anerkannten wissenschaftlichen Leistungen zu gelangen.

Ungewöhnlich und bemerkenswert ist es zudem, daß Frauen zu Zeiten, wo ihnen alle wesentlichen Bildungseinrichtungen verschlossen bleiben, sich ausgerechnet mit Mathematik beschäftigten. Diese Mathematikerinnen zeichneten sich alle durch ungewöhnliche Eigenschaften aus. Vielen von ihnen wird eine große Härte gegen sich selbst zugeschrieben. Es sei hier nur an die Anekdoten erinnert, in denen einige dieser Frauen unter den widrigsten Bedingungen die Nächte durcharbeiteten. Viele verfügten neben den mathematischen Fähigkeiten noch über andere hervorragende Talente (Sonja Kowalewska arbeitete noch als Schriftstellerin, Karoline Herschel war eine sehr gute Musikerin). Warum haben sich diese Frauen ausgerechnet der Mathematik zugewandt? Bei einigen spielten ganz offensichtlich die Anregungen, die sie im Elternhaus bekamen, eine wesentliche Rolle (Hypatia, M.Agnesi, E.Noether), andere wiederum schienen mehr oder weniger zufällig auf die Mathematik gestoßen zu sein (M.Somerville, S.Germain). Zwar galt die Beschäftigung mit der Mathematik sicher als unweiblich, aber sie hatte den Vorteil, daß in der Regel keine aufwendigen Geräte oder gar Laboratorien notwendig waren. Die Mathematik konnte also schon mit geringem technischem Aufwand betrieben werden. Eine Ausnahme stellten sicher die astronomischen Studien dar. Für Karoline Herschel war durch die Zusammenarbeit mit ihrem Bruder die Frage der Gerätebeschaffung kein Problem. Bei einigen Arbeiten scheint es sich auf den ersten Blick um experimentelle zu handeln (z.B. bei Sophie Germains Arbeiten zur Elastizität). Tatsächlich ging es im allgemeinen aber um das Erarbeiten der mathematischen Grundlagen zur Erklärung experimenteller Befunde.

Diese Mathematikerinnen haben am eigenen Leib erfahren, welcher Hindernisse Frauen entgegengestellt wurden, wenn sie eine umfassender Ausbildung erwerben oder sich sogar wissenschaftlich betätigen wollen. Einige von ihnen erhoben deshalb auch die Forderung nach besseren Bildungsmöglichkeiten für Frauen (M. Somerville). Allerdings waren sie selbst oft stark in den Anschauungen ihrer Zeit verhaftet. Das eindrucksvollste Beispiel stellt sicher Karoline Herschel dar, die sich vollständig dem Werk ihres Bruders und später dem ihre Neffen widmete. Aber auch die Begründung, die Sonja Kowalewska ihrem Antrag auf die Befreiung von der mündlichen Prüfung hinzufügte, zeigt es deutlich.

Das Werk der meisten hier dargestellten Mathematikerinnen scheint nicht sehr originell zu sein, häufig haben sie die Arbeiten anderer Autoren zusammengefaßt und gegebenenfalls auch übersetzt. Das tut allerdings ihrer Bedeutung keinen Abbruch, denn dazu mußten sie die Werke anderer erst einmal verstanden haben, d.h. sie mußten wissenschaftlich auf der Höhe ihrer Zeit sein. Darüber hinaus haben sie oft noch eigene Beiträge hinzugefügt und damit die Gedanken anderer weiterentwickelt. Welche Bedeutung diese Arbeiten hatten, macht das Beispiel Madame du Châtelets deutlich, deren Übersetzung der »Principia« erst zu einer Durchsetzung der Ideen Newtons in Frankreich führte. Karoline Herschel hat zwar ihrem Bruder sehr viel Zuarbeit geleistet, sie hat aber durchaus eine Fülle eigener Arbeiten und Untersuchungen durchgeführt. Ihr systematisches Vorgehen erleichterte die Realisierung verschiedener Ideen ihres Bruders. Während ihre Bedeutung nicht selten als die einer wissenschaftlichen Hilfskraft gewürdigt wird, fragt niemand, was ihr Bruder eigentlich ohne sie gemacht hätte. Andererseits sind Sonja Kowalewska und Emmy Noether Beispiele für Mathematikerinnen, die die Mathematik wesentlich beeinflußt haben. Um Emmy Noether bildete sich sogar eine eigene Schule, deren Wirkungen bis heute zu spüren sind.

Was bringt uns aber der Zurückverfolgen der Lebensläufe dieser Frauen? Heute sind die Vorurteile, daß Naturwissenschaften und Mathematik nichts für Frauen sind, keineswegs ausgeräumt. Betrachten wir z.B. den Anteil der Studentinnen am FB Mathematik der FU zwei Berlin, der 1982 bei 30,2 Prozent lag, am FB Physik sogar bei nur 10,3 Prozent. 1982 gab es am FB Mathematik der FU 2 Hochschullehrerinnen, am FB Physik keine. Es erfordert auch heute noch sehr viel Selbstbewußtsein und Durchsetzungsvermögen, als Mathematikerin oder Naturwissenschaftlerin zu arbeiten. Die Zeiten für Frauen, die wissenschaftliche Ambitionen haben, drohen darüber hinaus wieder härter zu werden, denn auf Grund der im Augenblick betriebenen Politik der »politischen Wende« wird es für Frauen wieder erheblich schwerer zu studieren. Die Ideologien, die Frauen in die Küchen und Kinderzimmer verbannen, feiern fröhliche Urständ«.

Das Beispiel von Frauen, die trotz ihrer privilegierten gesellschaftlichen Stellung, unter sehr viel schwierigeren Bedingungen wissenschaftlich Hervorragendes geleistet haben, soll uns Mut machen und zeigen, daß Frauen zu erheblich mehr in der Lage sind, als ihnen im allgemeinen zugestanden wird, und daß, wenn sie sich optimal entfalten können, eine Fülle von Fähigkeiten freigesetzt werden.

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Literatur zu den Mathematikerinnen

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Quellennachweis: Die Druckfassung erschien in nachstehend genanntem Band. Die Wiedergabe erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlages und ohne die beiden Abbildungen (Photos).

Bitte zitieren Sie diesen Aufsatz wie folgt:

Teller, Cornelia: Mathematikerinnen.
Druckfassung erschienen in: Sabine Berghan u.a. (Hg.): Wider die Natur? Frauen in Naturwissenschaft und Technik, Berlin (Elefanten Press) 1984, S. 258-261.
Nach der elektronischen Version auf der RLI-Homepage (im RLI-Web): http://iguwnext.tuwien.ac.at/~rli/Seiten/natwi/teller.htm
am ... [Datum der WWW-Abfrage eintragen].

Oder beachten Sie unsere Hinweise über Richtiges Zitieren im Netz.

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