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Weibliche Wissenschaft - Frauen als Mütter der Bombe?
von Margarete Maurer
(Druckfassung erschienen in: PCnews, Nr. 50, Jg. 11, Heft 5, Wien, November 1996, S. 15-18)
In der Diskussion um die Möglichkeiten einer "weiblichen" oder
feministischen Naturwissenschaft ist häufig der folgende Einwand
zu hören: "Frauen können gar keine andere Wissenschaft betreiben
als Männer, denn es gibt nur eine Wissenschaft, und Frauen müssen
- wenn sie zum Beispiel eine Atombombe bauen - dies genauso machen,
wie die Männer das gemacht haben." Dem soll im folgenden Beitrag
anhand der Frage nachgegangen werden, wie Wissenschaftlerinnen
sich in der Vergangenheit oder Gegenwart zur Kriegsforschung und
zum Bau von Bomben verhalten haben oder verhalten können, um dann
eine Antwort auf den Einwand zu geben.
Nach dem Bericht Robert Jungks verzichtete mindestens eine Physikerin ªeine junge Assistentin Max Borns (1), die Engländerin Helen Smith" auf ihre geplante Karriere, indem sie "in dem Augenblick, als sie von der Atombombe und ihrer Anwendung erfuhr, beschloß, von der Physik auf die Juristerei umzusatteln."(2)
Ob Physikerinnen unter den heutigen Bedingungen Arbeitsangebote aus der Rüstungsindustrie oder Militärforschung eher ablehnen als Physiker, ist schwer zu sagen - möglicherweise ist dies jedoch der Fall, auch wenn die Atomindustrie sich in den letzten Jahren in Zeitungsanzeigen sogar spezifisch an Frauen gewendet hat, um ihre Nachwuchssorgen zu beheben.
Rückblickend auf die historische Entwicklung der Atombombe wissen wir: "Der Atombombenbau war auch deswegen Männersache,
weil es kaum Expertinnen gab", wie Charlotte Kerner meint.(3) Damals (und auch später bei der Entwicklung der Wasserstoffbombe)
standen nur wenige Frauen konkret vor einer solchen existentiellen Entscheidung über Mittun oder nicht. So die Physikerin Lise Meitner(4) , die an der Entdeckung der Kernspaltung - einer grundlegenden
Voraussetzung für die Entwicklung der Atombombe - wesentlichen
Anteil hatte, und deren Arbeit im Team Meitner-Hahn-Straßmann(5) "mit dem Nobelpreis(6) für Otto Hahn(7) ...gekrönt" wurde, wie Renate Feyl zuspitzt(8) . Eine Reihe von Naturwissenschaftlern war über die verheerenden
Folgewirkungen der gemeinschaftlichen Entdeckung Meitners, Hahns
und Straßmanns - die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki
am 6. und 9. August 1945 - bestürzt und entsetzt, so auch Otto
Hahn - dies allerdings erst im Nachhinein. Während des Zweiten
Weltkrieges hatte er als Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts
für Chemie in Berlin in regelmäßigen Tätigkeitsberichten an die
Deutsche Wehrmacht "die potentielle militärische Bedeutung der
in seinem Institut durchgeführten Arbeiten" - experimenteller
und theoretischer Untersuchungen zur Kernspaltung(9) - hervorgehoben und betont und dürfte sich auch der potentiellen
Auswirkungen bewußt gewesen sein.(10) Lise Meitner war 1938 als "Nicht-Arierin" nach Schweden ins Exil
geflohen. Sie bekannte in hohem Alter, daß sie in ihren jüngeren
Jahren über der Begeisterung an der Wissenschaft versäumt habe,
über deren Ziele und über die Folgen der technologischen und kriegerischen
Anwendung nachzudenken - dennoch war es gerade sie, die Physikerin, die - obwohl unter sehr schwierigen Bedingungen in der Emigration
lebend - sämtliche Angebote ablehnte, am Atombomben-Projekt der USA in Los Alamos (Deckname "Manhattan Engeneer District", kurz "Mahattan Project")(11) mitzuarbeiten, wie ihr Neffe Otto Robert Frisch berichtet(12), mit dem zusammen sie 1939 die erste theoretische Interpretation
der Kernspaltung veröffentlicht hatte(13). Frisch hingegen hat sich am Manhattan Project beteiligt.(14)
Wir wissen heute, daß der Abwurf der Atombomben über Hiroshima
und Nagasaki im August 1945 keineswegs erforderlich war, um den
Weltkrieg schneller zu beenden, welcher Mythos damals international
verbreitet wurde. Lise Meitner erhielt die Nachricht von dem verheerenden
Ereignis im Exil, als Journalisten sie dazu interviewen wollten:
wegen Meitners richtiger Deutung und Berechnung der bei der Kernspaltung
freiwerdenden Energie von 1939 wurde sie nun in der Presse als
"Mutter der Atombombe" bezeichnet. Entsetzt betonte sie, daß sie
an der Entwicklung der Bombe nicht beteiligt gewesen sei.(15)
Lise Meitner hat die heutigen Probleme mit der Atomenergie nicht vorausgesehen, sie hoffte vielmehr auf deren "friedliche Nutzung"(16) - eine Hoffnung, der sich damals manch ein/e Wissenschaftler/in hingab und die illusorisch ist, da die langfristigen Nachfolgeprobleme, die der Betrieb von Atomreaktoren mit sich bringt, einem "Krieg gegen die Natur" und gegen die uns nachfolgenden Generationen gleichkommt und außerdem gerade bei der sogenannten "friedlichen" energetischen Nutzung der Atomenergie genau dasjenige Material anfällt, das speziell für den Bau von Atombomben gebraucht wird. Charlotte Kerner zieht daher aus der Geschichte der Kernspaltung und der Atombombe den Schluß: "Die Wissenschaftlerinnen müssen sich - 50 Jahre nach der ersten Kernspaltung - um die Anwendung ihrer Forschungsergebnisse kümmern und Stellung beziehen ... Die erste Atomspaltung führte zur Atombombe. Ein Lehrstück, auch heute noch, für Männer und Frauen."(17)
In Frankreich war es nach 1945 wiederum eine hochqualifizierte Physikerin und Mathematikerin, die sich - in ihrer politischen Funktion als eine der DirektorInnen der französischen Atomenergiekommission - gegen den Bau einer Atombombe aussprach, wie der französische Philosoph Roger Garaudy berichtet: IrËne Joliot-Curie (18). Sie und ihr Ehemann, der Physiker FrÈdÈric Joliot-Curie, der (seit 1946) als Hoher Kommissar die Kommission leitete, hätten sich geweigert, an einem solchen Projekt mitzuarbeiten: FrÈdÈric Joliot-Curie initiierte (wahrscheinlich zusammen mit seiner Frau) den "Stockholmer Appell" gegen Kernwaffen und arbeitete "unaufhörlich auf ein bedingungsloses Verbot des Einsatzes von Kernwaffen hin." (19)Beide wurden deswegen 1950 ihrer Stellen in der Atomenergiekommission enthoben - offizielle Begründung dafür (damals war "kalter Krieg"): kommunistische Tätigkeit.(20)
In den USA folgte auf die Atombombenentwicklung die Entwicklung
der Wasserstoffbombe ("H-Bombe"), welche ab 1946 ebenfalls in
den National Laboratories von Los Alamos stattfand, und die man wegen ihrer
zu erwartenden, tausendfach höheren Zerstörungskraft die "super" nannte.(21) Zu diesem Projekt gehörte als wesentlicher Anteil der Bau neuer
Computer und die Entwicklung entsprechender Computerprogramme.(22) Schon bei der Berechnung der Atombombe und ihrer voraussichtlichen
Wirkung waren viele Tausende von Detailkalkulationen notwendig
gewesen - die Berechnung der H-Bombe war noch um einiges aufwendiger,
Möglichkeiten zur Überwindung eines "Zahlengebirges" waren damit
das A und O des H-Bomben-Projektes. Mindestens an den entsprechenden
Kalkulationen, Programmierungen und mathematischen Analysen (durchgeführt
an - am geheimen Projekt beteiligten - Universitäten und in der
"Computer Section" der National Laboratories in Los Alamos) waren als "computer" auch und gerade Frauen beteiligt, mehrheitlich graduierte Mathematikerinnen. Damals wurden - in Fortführung einer ins 19. Jahrhundert zurückreichenden
Tradition aus der Astronomie - für das "Computing" vorwiegend
Frauen eingestellt; "computing" war die Bezeichnung für umfangreiche
mathematische Kalkulationen, in diesem Fall für das ballistische
Berechnen der Flugbahnen von Geschossen. Genau solche Berechnungen
- von den Militärs des Zweiten Weltkriegs benötigt - waren die
Aufgabenstellung gewesen(23) bei der Entwicklung der ersten elektronischen Rechenmaschine
der Welt, "ENIAC" (Electronic Numerical Integrator and Computer), einem maschinellen Ungetüm mit einem für heutige Vorstellungen
sehr großen Raumbedarf und 30 Tonnen Gewicht, an der Moore School of Electrical Engeneering der Universität von Philadelphia(24).
ENIAC wurde vor allem mithilfe weiblicher "Computer" zum Rechnen gebracht.(25) Die Mathematikerin Adele Goldstine war als einzige Frau im 14köpfigen,
1943 neu gebildeten leitenden Entwicklungsteam von ENIAC für ihre
Ausbildung und Rekrutierung zuständig; sie war die Autorin des
Handbuchs (manual) für den Computer und erarbeitete zusammen mit ihrem Mann, dem
Mathematiker und Offizier der Reserve, Leutnant bzw. Kapitän Herman
H. Goldstine, das Demonstrationsprogramm zur Berechnung der Flugbahn
eines Unterwassergeschosses, mit dem ENIAC 1946 öffentlich präsentiert
wurde. Diese Präsentation machte Arthur Burks, Mitglied des design teams, dessen Ehefrau Alice Burks an der Moore School als "computer" tätig war und mit ihm zusammen eine Reihe von Artikeln über
ENIAC und die Computergeschichte schrieb.
Die Arbeit der weiblichen computer bzw. Mathematikerinnen stand also von Anbeginn an in einem militärischen
Kontext. Das ENIAC-Projekt - "Project PX" genannt - war von der Artillerie der US-Armee finanziert
worden.(26)
Während andere Militärprojekte mit Kriegsende gestoppt wurden, wurde ENIAC ab November 1945, also nach dem Ende des Krieges, für mathematische Berechnungen im H-Bomben-Projekt eingesetzt - top secret, versteht sich. Eine der hieran mitwirkenden Frauen war die Spezialistin Cerda Evans; sie dürfte nicht die einzige beteiligte Frau gewesen sein(27). ENIAC war jedoch relativ störanfällig und gemessen an den militärisch-mathe-matischen Anforderungen an ihn (sowie auch nach heutigen Maßstäben) nicht leistungsfähig genug. Programme konnten nicht intern gespeichert werden, sondern die Maschine mußte für jede Aufgabe neu programmiert werden, indem die "computer" Kabel einsteckten und Schalter setzten, d.h. das Gerät jedesmal neu verdrahteten (Dauer im Schnitt ca. 2 Tage). Mithilfe des Mathematikers John von Neumann(28) vom Institute of Advances Studies in Princeton wurde ENIAC 1948 wesentlich verbessert. Der drohenden Krise des gesamten Projektes konnte John von Neumann außerdem mit einer neuen, weitaus stärkeren Maschine abhelfen, an deren Konzept er schon einige Zeit gearbeitet hatte: dem "MANIAC" ("Mathematical Analyzer Numerical Integrator And Computer")(29) . Dieser konnte sogar Fehler feststellen und ungenaue Befehle korrigieren; eine zuvor dreimonatige Arbeit dreier Personen konnte mithilfe von MANIAC von denselben drei Personen in etwa zehn Stunden erledigt werden; der Physiker, der morgens die Aufgabe stellte, konnte das Ergebnis noch am Abend desselben Tages erwarten und weiterverarbeiten. Von Neumanns Ehefrau, Clara von Neumann, beteiligte sich durch Programmieren und Codieren an diesem Gerät an der Lösung umfangreicher Probleme. Weitere Frauen haben am MANIAC von 1948 bis 1952 als Programmierererinnen, Coderinnen, Maschinenoperatorinnen und Problemanalytikerinnen gearbeitet. Sie wurden damit - sozusagen direkt-indirekt - an der Entwicklung der H-Bombe beteiligt.(30)
Die H-Bombe stellte die Frage der persönlichen Verantwortung der WissenschaftlerInnen - nach den bereits gemachten Erfahrungen (und Schocks) mit der Atombombe - nochmals in aller Schärfe(31). Es war immerhin eine Frau, die angesehene englische Kristallographin Dame Kathleen Lonsdale(32) , die in der entsprechenden damaligen Debatte den Befürwortern der "Super"Bombe - die blauäugig meinten, man könne nie wissen, was für praktische Ergebnisse eine solche Forschungsarbeit haben würde und sei daher auch nicht verantwortlich dafür - das Argument entgegenwarf: "Das Risiko, daß eines Menschen Arbeit, die an sich gut ist, später einmal mißbraucht wird, muß man immer auf sich nehmen. Aber wenn es bereits bekannt ist, daß der Zweck der Arbeit verbrecherisch und böse sein soll, kann die persönliche Verantwortung nicht umgangen werden!".(33)
Wie die US-amerikanischen Frauen-computer bzw. Mathematikerinnen zu dieser Frage standen, ist mir nicht bekannt. Die Tätigkeit als computer war in den 40er und 50er Jahren eine der wenigen Möglichkeiten für sie, ihre "männliche" Qualifikation beruflich zu verwerten. Ob es aus Gründen der politischen Moral angebracht war, auf eine solche Berufstätigkeit zu verzichten wegen der militärischen Zwecksetzung dieser Tätigkeit allgemein oder - nach dem Krieg - wegen der speziellen Zwecksetzung, einen neuen Bombentyp mit extremer Zerstörungsgewalt zu entwickeln, welcher noch dazu vorwiegend die Zivilbevölkerung treffen sollte, ist eine Frage, die sich einige von ihnen möglicherweise gestellt haben, möglicherweise auch nicht. Ob der genaue Zweck ihrer Arbeit, die Entwicklung der H-Bombe, den ENIAC-MitarbeiterInnen damals bekanntgegeben wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Ein Teil der "ENIAC-girls" war in den 40er Jahren aus Kriegsfreiwilligen des US Army's Women's Auxiliary Corps rekrutiert worden, die als Rechnerinnen im Ballistischen Forschungslaboratorium der US-Armee in Aberdeen in Maryland tätig waren. Sollten sie in den 50er Jahren weiter am ENIAC beschäftigt worden sein, ist es wahrscheinlich, daß mindestens einige, wenn nicht sogar viele oder die meisten der am oder für den ENIAC arbeitenden Frauen den US-amerikanischen Patriotismus und die nationalen Militärdoktrinen auch innerlich mitgetragen haben. Es ist gut möglich, daß manche der Beteiligten sich sogar geehrt gefühlt haben könnten, an einem als patriotische Aufgabe geltenden Projekt mitwirken zu können. Den leitenden MitarbeiterInnen des Projektes wird das konkrete Ziel möglicherweise bekannt gewesen sein; den übrigen MitarbeiterInnen ist wahrscheilich nur das für die Durchführung ihrer Arbeit Notwendige mitgeteilt worden. Wer dies wollte, wird dennoch die Möglichkeit gehabt haben, Näheres zu erfahren und dann auch über die möglichen weltweiten Folgen nachzudenken oder dazu Stellung zu nehmen. Welche nicht nur lokalen, sondern weltweiten Auswirkungen (auch auf völlig Unbeteiligte) Bomben haben, die auf Kernreaktioen beruhen, war durch die Abwürfe auf Hiroshima und Nagasaki immerhin bekannt: Verseuchungen und daraus resultierende Erkrankungen (oder Tod) sowie Schädigungen des Erbguts bei den Menschen, und Anhäufungen von schädlicher Radioaktivität in den Pflanzen und Tieren.
Von vielen Informatikerinnen, den heutigen Nachfolgerinnen der damaligen Computer-Pionierinnen, wird - zumindest im deutschsprachigen Raum - nicht nur die spezifische Mitarbeit an modernen Bomben, sondern darüberhinaus von vornherein jeder militärische Zweckzusammenhang der eigenen Berufstätigkeit als Problem gesehen. Denn weltweit ist eine große Anzahl der heutigen IngenieurInnen, TechnikerInnen und NaturwissenschaftlerInnen, wahrscheinlich die Mehrheit, in der militärisch bestimmten Forschung beschäftigt.(34) Aber auch ein "ziviles" Anstellungsverhältnis bietet keine Garantie dafür, nicht in einem militärischen Kontext zu stehen, sondern nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Zum einen können zivile Institutionen an militärischer Forschung beteiligt sein, wie es mehrere Universitäten im Fall der H-Bombe auch waren), zum anderen läßt sich militärische Nutzbarkeit von friedlicher auch prinzipiell nicht trennen.
Die Stellungnahme von Wissenschaftlerinnen zur Einbindung der Forschung in den Krieg oder in dessen Vorbereitung stellt ein interessantes Thema dar, das noch zu wenig erforscht ist. Es könnte sein, daß sich Naturwissenschaftlerinnen vergleichsweise öfter gegen diese Verwendung ausgesprochen oder in vergleichsweise häufigerem Maße die eigene Beteiligung abgelehnt haben, als dies ihre männlichen Kollegen taten. Wir wissen dies nicht, haben aber einige Hinweise dazu, die diese Hypothese der Prüfung wert erscheinen lassen.
So war es eine Physikerin, nämlich Freda Wuesthoff(35) , die nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland mit zahlreichen Vorträgen und Publikationen einen Großteil ihrer Kraft der Arbeit für den Frieden, der Warnung vor einem Atomkrieg und der Aufklärung über die H-Bombe und über die Probleme der Atomenergie widmete (und in diesem Zusammenhang auch den Deutschen Frauenring mitgründete). "Sie sprach von einem dem Goldrausch vergleichbaren Atomrausch und verlangte vorerst eine gründliche wissenschaftliche Durcharbeitung der Vorbedingungen für die Errichtung von Atomkraftwerken und vor allem Sicherungsmaßnahmen gegen Strahlungsschädigungen." Sie wollte, daß die Bevölkerung weltweit von ihren Regierungen den Stop der thermonuklearen Explosionen, d.h. der H-Bombentests, verlangen sollte - als "Akt der Notwehr", denn jede Explosion setze Unmengen von schädlicher Radioaktivität frei.(36)
Und im Ersten Weltkrieg hatte die deutsche Chemikerin Clara Immerwahr versucht, Fritz Haber (ihren Ehemann) davon abzuhalten, die chemischen Gaswaffen weiter zu entwickeln, weil dies nach ihrem Wissenschaftsverständnis "eine Perversion der Wissenschaft" darstellte. Als ihr Mann ihrem Ultimatum nicht folgte, erschoß sie sich.(37) "Hätte sie lieber ihn erschossen!", kommentierte dies bei einem Kongreß von Wissenschaftlerinnen eine heutige ältere Chemikerin, die den Zweiten Weltkrieg durchmachen mußte.
Meine Antwort auf den eingangs genannten Einwand gegen eine "weibliche" Naturwissenschaft lautet daher: Das Argument hat insofern einen wahren Kern, als Frauen sich, wenn sie das HERRschende Paradigma annehmen und sich in diesem beruflich behaupten wollen, unter den gegenwärtigen Bedingungen schwer den Zwecken seines zugehörigen institutionellen Rahmens und den darausfolgenden Aufgabenstellungen und Zwängen entziehen können - häufig stellt sich die Frage für sie als existentielle Entscheidung nach Ausstieg oder Mittun. Da die feministische Kritik aber gerade auf die paradigmatischen Grundlagen und die zugehörigen institutionellen Organisations- und Institutionalisierungsformen der modernen Naturwissenschaften und Technik zielt, so trifft der Einwand daneben. Denn die feministische Behauptung lautet ja nicht: "Frauen machen - per Anatomie etwa - die bessere Wissenschaft", sondern: Die Umgestaltung der Gesellschaft und der mit ihr verknüpften Form von Naturwissenschaft und (Technik) im Sinne des Feminismus, orientiert also an den - zu explizierenden - Fraueninteressen, könnte zu einer "besseren" Naturwissenschaft (und Technik) führen. Eine solche Gesellschaft käme gar nicht erst auf die Idee, Atombomben zu bauen und die Produktion ihres Wissens an solchen zerstörenden Zwecken auszurichten!!
Anmerkungen:
(c) Copyright Margarete Maurer 1996. Alle Rechte vorbehalten.
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Bitte zitieren Sie diesen Aufsatz wie folgt:
Maurer, Margarete. "Weibliche Wissenschaft - Frauen als Mütter der Bombe?"
Druckfassung erschienen in: PCnews, Nr. 50, Jg. 11, Heft 5, Wien, November 1996, S. 15-18.
Nach der elektronischen Version auf der RLI-Homepage: http://iguwnext.tuwien.ac.at/~rli/Seiten/natwi/bombe.htm
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